THE EARLY YEARS
SINCLAIR ZX 81
Mit einem Schilling Taschengeld pro Tag konnte ich mir nur den harten, alten Krapfen vom Vortag kaufen, wenn ihn der Schulwart noch nicht weggeworfen hatte. Mehr konnten mir meine Eltern zu Anfang der 1980er Jahre nicht zur Schule mitgeben. Sehnsüchtig beobachtete ich meine Schulfreunde, wie sie sich die für mich unerreichbaren Köstlichkeiten wie frische Wurstsemmeln oder Cola leisten konnten. Cola! Wie unglaublich stark ein Bedürfnis wächst, wenn man keinen Weg sieht, es zu stillen.
Ich war 12 Jahre alt und seit ich denken kann ein Technik-Freak. Die ersten Computer kamen zu dieser Zeit auf den Markt. Natürlich wollte ich unbedingt einen haben. Die einzige Option war der Sinclair ZX 81. Das war einer der ersten leistbaren Home Computer, mit 1000 Schilling (heute etwa 73 Euro, wenn man die Inflation nicht berücksichtigt) das günstigste Gerät. Die technischen Fähigkeiten würden heute nicht einmal mehr für ein Kleinkinder-Spielhandy reichen: 8 Bit Prozessor und 64 Kilobyte Arbeitsspeicher waren für mich das einzige erreichbare Ziel meiner Begierde. Natürlich gab es auch einen Commodore 64, damals zwischen 3.000 und 5.000 Schilling teuer, aber das war für mich und meine Eltern absolut unfinanzierbar. Doch auch 1.000 Schilling waren für uns verdammt viel Geld. Meine Eltern kamen aus Deutschland nach Österreich als ich 7 war, um meine Großeltern zu pflegen, denen es gesundheitlich sehr schlecht ging. Beide waren ausgebildet als Diplompsychologen, ein deutsches Studium, das damals in Österreich nicht anerkannt war. Mein Vater arbeitete völlig unterbezahlt als Erzieher, meine Mutter kümmerte sich um meine schwer kranken Großeltern. Eine eigene Wohnung konnten wir uns natürlich auch nicht leisten und zogen in das kleine Häuschen meiner Großeltern am Land, in einem Dorf namens Fischlham. Um irgendwie Platz zum Leben zu haben, mussten wir umbauen und all die bescheidenen Ersparnisse waren schnell aufgezehrt. So blieb uns nur das Allernötigste zum Überleben. Um meine brennenden Bedürfnisse zu erfüllen, beschloss ich, selber aktiv zu werden.
In Fischlham gab es, wie in vielen mitteleuropäischen Dörfern Tradition, einmal im Jahr einen Jahrmarkt. Als ich die vielen Verkaufsstände voller Ramschware sah, kam ich auf eine Idee. Ich beschloss als erster 12-Jähriger in der Geschichte Fischlhams, einen Tisch aufzustellen und alle möglichen Dinge zu verkaufen: altes Spielzeug, selber gebastelte Dinge, alles was ich finden oder Verwandten und Bekannten abluchsen konnte, egal, hauptsache gratis. So stand ich also mit meinem jämmerlichen Tischchen und meinem alten, abgenutzten Ramsch inmitten von glitzernden Ständen voller Spielsachen, sensationellen Weltneuheiten für die Küche, Zuckerwatte und herb duftender Lederware.
Vielleicht war genau das mein Alleinstellungsfaktor, vielleicht tat ich den Leuten einfach leid oder sie brauchten wirklich genau das, was nur ich hier anzubieten hatte. Jedenfalls hatte ich am Ende des Tages unglaubliche 800 Schilling verdient. Ein Vermögen – doch es fehlten immer noch 200 Schilling. Zum Glück hatte ich einen Onkel, der etwas besser situiert war. Er zahlte mir schließlich die fehlende Summe dazu und endlich konnte ich mit fiebrigen Händen meinen Sinclair ZX 81 auspacken.

Der für mich unerschwingliche Commodore 64 hatte eine umfangreiche Tastatur, man konnte ihn komfortabel am Fernseher anschließen und alle Programme bequem auf einer Kassette speichern. Außer mir hatte den fast jeder meiner Freunde. Mein Sinclair ZX 80 hatte extrem wenig Speicher, eine Sensor-Gummi-Tastatur mit sperrigen BASIC-Programm-Befehlen und wenn er ausgeschaltet wurde, war das mühsam eingegebene Programm im Nichts verschwunden. Aber aus heutiger Sicht betrachtet, war genau das ein ganz bedeutender Schlüsselpunkt in meinem Leben. Ein Gerät, das unglaublich aufwändig zu bedienen war, trainierte mich in entscheidenden, grundlegenden Fähigkeiten.
Alle meine Freunde hatten längst von ihren Eltern den Commodore 64 bekommen, mit den faszinierendsten Spielen, die voneinander kopiert und ausgetauscht wurden, jeder sammelte einen Fundus an fertigen Programmen an. Keine musste sich damit beschäftigen, wie das eigentlich alles funktioniert, sie alle wurden reine Anwender. Außer ich. Ich wollte natürlich auch mit meinen Freunden spielen. Aber kein Mensch in der ganzen Schule hatte einen Sinclair ZX 81 – für alle das lächerlichste Billiggerät. So verkroch ich mich tagelang in unserem Haus und begann meine eigenen Programme zu schreiben. Dabei gab es zwei Herausforderungen: Erstens hatte der Sinclair eine katastrophale Grafik. Zweites war der Speicher so klein, dass ich jedes einzelne Byte sparen musste. Statt dem Zahlenwert 1 hab ich not P geschrieben und damit Platz gespart. Mit diesen extrem dürftigen Ressourcen begann ich in mühsamer Kleinarbeit Spiele wie das Pong – der Klassiker mit den zwei Balken und dem Punkt als Ball – zu schreiben. Als meine Spiele schließlich einwandfrei liefen, konnte ich endlich auch Freunde dafür gewinnen, zu mir zu kommen. Gemeinsam spielten wir bis Hunger, Erschöpfung oder der Einbruch der Nacht und zum Aufhören zwangen.
Durch meinen Sinclair ZX 81 wurde ich genötigt, mich tief mit den Funktionen eines Mikroprozessors und der Speicheroptimierung auseinander zu setzen. Und immer wieder, wenn ich den Computer ausschaltete, war das Programm weg. Ich musste alles wieder neu schreiben. Dabei wurde ich immer besser.
Nach ein paar Jahren ungewollt hartem Programmiertraining bekam ich von meinen Eltern, denen es mittlerweile finanziell besser ging, einen Sinclair Spectrum, auf dem man endlich alles speichern konnte und der sogar die heiß ersehnte Farbe hatte. Ich schrieb ein für damalige Verhältnisse komplexes und aufwändiges Strip-Poker Programm, zeichnete Bild für Bild der Grafik mit der Hand. Das Programm war im Freundeskreis ein totaler Renner – und ich hatte mittlerweile so viel Selbstbewusstsein, selbst erworbenes und aus Büchern bezogenes Wissen, dass ich es verwerten wollte.
Ich war kein hübsches Kind, ein richtiger Nerd, hatte eine starke Zahn-Fehlstellung, 45 Grad nach vorne, meine Eltern konnten sich keine teure Korrektur für mich leisten. Wenn ich mit meinem achtlos kombinierten second-Hand-Outfit, Krankenversicherungs-Brille und einer per Zufall entstandenen Frisur in den Bus einstieg, kam spontane Heiterkeit auf. Doch mir war das egal. Die anderen gingen aus, um Mädels aufzureißen. Ich blieb zuhause und programmierte.
FIRST BUSINESS
Es gab in der Schule einen Getränkeautomaten, ein Cola kostete unerschwingliche 7 Schilling. Zu trinken gabs für mich also nur Wasser oder die Gratis-Schulmilch. Die war aber leider vom Aufenthaltsraum des kettenrauchenden Schulwarts total geräuchert und so gut wie ungenießbar. So wuchs der sehnliche Wunsch nach Cola in mir. Ich brauchte eine regelmäßige Einnahmequelle und kam auf die Idee, eine Schülerzeitung zu produzieren. Von den Maturazeitungen hatte ich mir abgeschaut, wie man über Inserenten Geld damit verdienen kann. Als ersten Partner suchte ich mir selbstbewusst eine Bank aus, ging mit meinem Konzept direkt zum Filialleiter und konnte ihn tatsächlich von meinem Projekt überzeugen, mit dem Argument, den Nachwuchs in den Schulen schon früh emotional an die Bank zu binden. Das Institut erhielt die letzte Seite als Werbefläche und übernahm die Produktionskosten der Zeitung. Die Artikel schrieben Freunde und Freundinnen in der Schule, die stolz waren, als Reporter arbeiten zu können und ihren Namen in der Zeitung lesen zu dürfen. Wir schrieben alle möglichen Storys über Dinge in und außerhalb der Schule, die uns interessierten, über Johnny Depp, Events, Drogenprobleme. Ich begann weitere Inserate an Firmen zu verkaufen und schön langsam richtig gut Geld zu verdienen. Es war ja keine Schulzeitung, sondern mein privates Projekt: In guten Zeiten verdiente ich so zwischen 4.000 und 10.000 Schilling pro Ausgabe. Mit dem Geld konnte ich mir dann nicht nur Cola kaufen, sondern auch immer bessere Computer – und als ich 16 war auch eine Vespa.
Trotz des für einen Schüler beachtlichen Geldsegens habe ich bis heute die extreme Mittelknappheit meiner Kindheit nicht vergessen. Ich kann noch heute unmöglich einen ganz normalen Deal machen. Das war auch bei dieser Vespa so. Eine gut instandgehaltene Vespa kostete mindestens 15.000 Schilling – ich kaufte meine um 4.000 Schilling: In einem Karton in Form von hunderten Einzelteilen. Über Computerprogramme wusste ich bestens bescheid, aber von der Fahrzeugtechnik hatte ich keine Ahnung, war aber fest entschlossen, das Ding zum Laufen zu bringen. Dazu kaufte ich mir ein Buch, das musste als Anleitung genügen. Dann begann ich, die Vespa zusammen zu bauen, in wochenlanger Arbeit, Stück für Stück, lackierte den Rahmen neu in cooler Metallic-Lackierung, polierte das Chrom auf und hatte es schließlich geschafft: An einem sonnigen Sommermorgen kam ich mit meiner einzigartigen, chromblitzenden Vespa zur Schule. Daraus entwickelte sich zumindest mittelfristig ein neues Zusatzgeschäft: Meine Freunde wollten jetzt auch eine Metallic-Lackierung für ihre Vespa. So konnte ich das erworbene Know-how noch zusätzlich gut vermarkten.
Mit der Vespa hatte ich dann auch einige Zeit meine Freude, bis ich alt genug war, den Führerschein zu machen: Damals kostete das 12.000 Schilling. Die Vespa würde ich dann nicht mehr brauchen. In der Zeitung fand ich ein absolut uncooles, aber fahrtaugliches Puch Maxi-Moped einer verstorbenen, älteren Frau für günstige 900 Schilling. Die Vespa verkaufte ich für 14.000, konnte mir den Führerschein leisten und bis ich den Schein in der Hand halten durfte, hatte ich etwas um von A nach B zu kommen. Diese Form von unkonventionellem Herangehen ans Business habe ich bis heute beibehalten, in jeder Größenordnung. Das zeigt sich auch an folgender Anekdote, die erst vor ein paar Jahren stattgefunden hat, aber hier kurz erzählt sei:
In Amerika sind Autos wesentlich billiger als in den meisten europäischen Ländern. Es gibt keine Zusatzsteuern wie in Deutschland oder Österreich. Der Dollarkurs lag zum Zeitpunkt des Geschehens zum Euro bei 1,60. Ich kaufte mir in den USA einen Lamborghini, meldete ihn ein halbes Jahr an und holte ihn nach dem Verkauf der Firma in Kalifornien per Flugzeug als Übersiedlungsgut nach Österreich. Den vergleichsweise teuren Flug habe ich mir geleistet, 2 Wochen salzige See auf dem Schiff sind für ein Auto in dieser Preisklasse nicht zu empfehlen. Beim Typisieren entfielen die Steuern wegen des Status als Übersiedlungsgut. Alles zusammen habe ich so ein Drittel für das Auto bezahlt. So ein Deal verschafft mir ein anhaltend gutes Gefühl: Auch wenn ich mit dem Auto fünf Jahre fahre, kann ich ihn für dieselbe Summe in Europa verkaufen. Anders fomuliert fahre ich gratis einen Lamborghini.
Ich war 16, das Zeitungsgeschäft war mittlerweile Routine und ich suchte eine neue geschäftliche Herausfordung. Noch heute gibt es ein österreichweites Computer-Schulungsinstitut namens 2F. Dort wollte ich mich als Trainer bewerben, schickte ihnen mein Strip-Poker-Programm und ein Spiel im Bereich künstlicher Intelligenz namens 4 gewinnt: Es gilt dabei, auf einem Feld vier Punkte so zu platzieren, dass eine Reihe von 4 Punkten geschaffen wird. Gespielt wird gegen einen Gegner – in meinem Fall der Computer. Das Spiel war so konzipiert, dass der PC-Gegner permanent dazu lernte und quasi unschlagbar war. Als ich das 1987 bei 2F präsentierte, waren die Geschäftsführer vollkommen perplex: Die anderen Bewerber konnten damals maximal eine simple Routine für einen Geheimschrift-Code programmieren.
Also bekam ich den Vertrag und wurde auf die ersten Seminarteilnehmer losgelassen. Mit 16 hatte ich zwar schon das Selbstbewusstsein, aber noch nicht das geeignete Business-Outfit und lieh mir von meinem Vater ein Sakko, das viel zu groß war, aber egal, ich fühlte mich passend gestylt, um den erwachsenen Kursteilnehmern mein Wissen zu vermitteln.
Schnell arbeitete ich mich in das Trainergeschäft ein und wurde immer lockerer und souveräner im Umgang mit meinen Schülern, die meine Eltern hätten sein können. Doch jetzt ging das Geschäft erst richtig los. Es war ein Leichtes, zu erfahren, zu welchen stolzen Preisen diese Kurse verkauft wurden. Mit der Teilnehmerzahl multipliziert, kam hier eine ordentliche Summe heraus. Ich verdiente nicht schlecht, davon allerdings nur einen Bruchteil. Es blieb also aus meiner Sicht viel Geld auf der Strecke – für eine Arbeit, die ich eigentlich ganz allein leistete. Das einzige, was 2F beitrug, war, die Kursteilnehmer zu finden. So schaute ich mir mal an, wie sie das zustande brachten. Das System war einfach: Sie hatten ein Telefonmarketing-Team, das alle Leute in der Umgebung von beispielweise Edt bei Lambach kontaktierte. Telefonistinnen riefen das Telefonbuch durch, wenn genug Leute beisammen waren, wurden Räume angemietet und der Kurs fand in Edt bei Lambach statt. Als Referenz holten sie sich den Bürgermeister ins Boot, der seinen Mitbürgern nahebrachte, wie wichtig es doch für die wirtschaftliche Prosperität von Edt bei Lambach sei, wenn seine Einwohner über fundierte Computerkenntnisse verfügen würden.
Ich wollte mir ansehen, was diese Telefonistinnen verdienten und wie viele Telefonate sie pro Tag führten und fragte, ob ich diesen Job für eine Woche mal machen dürfte – meine Chefs sahen mich verwundert an, für sie war das ein totaler Rückschritt. Ich aber wollte lernen, habe mich eine Woche hinter das Telefon geklemmt und meine Kolleginnen genau beobachtet, dann wusste ich, wie der Laden läuft.
Per Inserat suchte ich mir 2 Telefonistinnen, wählte ein paar Ortschaften aus, rief den Bürgermeister an und bald hatte ich meine eigenen vier Kurse. Die Vorfinanzierung für den ersten Kurs lief über die Einnahmen aus der Schülerzeitung. Nun verdiente ich mit meinen Kursen richtig Geld. Zusammen mit den Einnahmen aus dem Schülerzeitungs-Geschäft war ich jetzt wohl jener, der in der ganzen Schule – meine Lehrer und der Direktor eingeschlossen – am besten verdiente.
1991 war ich 19, hatte schon einige Erfahrungen als Kursveranstalter gesammelt, als ich den damals rasant steigenden Bedarf an Hardware bemerkte – jeder, der sich im Kurs mit dem Computer beschäftigte, wollte natürlich zu Hause auch einen haben. Ich erkannte, dass die Zeit kam, als die PCs auf dem Markt so richtig hochfahren würden. Also sah ich mich auf dem damals noch überschaubaren Anbietermarkt um und kam auf die Idee, das Geschäft genau so wie meinen erfolgreichen Vespa-Deal aufzuziehen: Die Einzelteile importieren, selber assemblieren und dann mit entsprechendem Gewinn weiterverkaufen. So gründete ich meine erste „richtige“ Firma, als Einzelunternehmen ohne viel erforderliches Startkapital.
Dabei stieß ich auf die Annonce einer kleinen Softwarefirma in einer gottverlassenen Bezirksstadt namens Perg. Es gelang mir auch dort, mich erfolgreich zu bewerben. Die Firma hatte ein Warenwirtschaftssystem entwickelt, meine Aufgabe war, als Vertriebsleiter mit einem Programmierteam kundenspezifische Lösungen zu entwickeln. Da ich mittlerweile dem jugendlichen Nerd entwachsen war und auch ein gutes Auge für Ästhetik entwickelt hatte, bekam ich auch das gesamte Marketing übertragen. Mit den ersten erfolgreichen Entscheidungen kamen das alte Selbstbewusstsein und die analytischen Fähigkeiten zurück.
Bald hatte ich das Produkt und die Kundenbedürfnisse in allen Details erfasst und kam zum Schluss, dass das veraltete Warenwirtschaftssystem grundlegend verbessert werden könnte. Ich begann wieder zu programmieren, das alte leidenschaftliche Feuer loderte wieder, mein Produkt bekam nach und nach immer schärfere Konturen und hielt meine hoch gesteckten Erwartungen stand.
Bald hatte ich einen der bestehenden Großkunden überzeugt, meine wesentlich schnellere, komplexere und leichter zu bedienende Software zu kaufen. Mit diesem ersten großen Auftrag in der Tasche entschloss ich, es nochmals zu versuchen. Software war ein gutes Geschäft. Einmal entwickelt, konnte man sein Produkt immer wieder verkaufen, bekam Wartungsverträge, war nicht von Lieferanten abhängig und musste sich nicht mit ums Überleben ringenden Computerkrämern herumschlagen.
Das Geschäft entwickelte sich rasend schnell, die Software überzeugte Unternehmer aus allen Branchen. Bald hatte ich über 250 Kunden mit diesem System, wir hatten es Supervisor genannt, viele arbeiten heute noch damit, fast 15 Jahre später. Es ist einfach und effizient programmiert – letztlich mit den Kenntnissen, die ich schon als 12-jähriger erworben hatte.
Um 1998 wurde das Internet in Österreich populär. Ein Thema, das auch mich brennend interessierte. In Amerika kamen täglich die Dotcoms an die Börse und auch ich wollte die neue Technologie für meine Zwecke nutzen. Die Idee war, meine Software Supervisor internettauglich zu machen. Man sollte alle Funktionen, Rechnungen, Bestellungen von jedem Punkt der Welt aus bedienen können. Mit diesem, damals revolutionärem Konzept traf ich auf einen erfolgreichen Industriellen, der spontan begeistert war und eine gute Chance sah, damit noch reicher zu werden. Um einen mehrfachen Schilling-Millionenbetrag kaufte er mir 1999 die Hälfte meines Unternehmens ab. Ich hatte mich zu einem erfolgreichen Mittelklasse-Unternehmer entwickelt, bekam ein immer besseres Gespür fürs Geschäft, hatte allerdings keinen richtig großen Fisch an der Angel. In dieser Phase erkannte ich die Bedeutung von Mentoren, in meinem Fall erfahrene Unternehmer, die reicher und erfolgreicher sind als man selbst und führte bei jeder Gelegenheit Gespräche. Reich bedeutet für mich nicht, alles geerbt zu haben, das zählt für mich nicht. Mich beeindruckt nur, wer sich sein Leben und sein Vermögen selber erarbeitet hat. Ich habe im Laufe meines Unternehmerdaseins auch viele reiche Erben kennen gelernt, durchwegs interessante, gebildte und sympathische Leute, habe aber festgestellt, dass sie zumeist sehr saturiert sind. Ich aber war immer noch hungrig danach, etwas Großes aufzuziehen, etwas heranwachsen zu sehen. Es interessierte mich nicht, auf Cocktailpartys über Weinkeller oder Designerklamotten zu diskutieren. Selfmade-Leute sind für mich wesentlich interessanter, das ist eine spannende Sorte von Menschen, kreativ aber strukturiert, konsequent und zumeist auch höchst charismatisch.
Eines Abends saß ich mit Josef B, Aufsichtsratsvorsitzender eines Industrieunternehmens, vor dem offenen Kamin. Ich sprach mit ihm über die vielen unterschiedlichen Beteiligungen, von überall ein wenig, aber was fehlen würde war das eine große, faszinierende Projekt. Ein Projekt, bei dem man kribbelig wird, das einen zur Gänze erfasst. Er antwortete darauf, dass ich es einfach jetzt so genießen sollte, wie es ist – es würde schon der richtige Zeitpunkt ganz von selber kommen. Es ist, wie wenn man versucht, mit Gewalt eine Freundin aufzureißen, auch das wird nicht klappen. Wenn man relaxt, aber offen ist, alle Sinne schärft und die Sachen auf sich zukommen lässt, dann passiert es. Das ist auch die Strategie eines der erfolgreichsten Tiere der Evolution. Das Krokodil hat die Dinosaurier überlebt und wird wohl auch uns überleben. Es hetzt seiner Beute nicht hinterher und vergeudet sinnlos seine Energie. Es gleitet entspannt durch das Wasser, nur Augen und Nasenlöcher sind sichtbar, sondieren immer wachsam das Umfeld bis die ahnungslose Beute vorbeikommt. Dann schlägt es blitzartig zu.
Im Zuge eines Firmenverkaufs sicherte ich mir die Rechte über ein bereits hochentwickeltes Videoconferencing-System. Gleichzeitig kam Skype auf. Aber ich sah, dass mein System wesentlich besser war: Skype hatte zu diesem Zeitpunkt keine Videofunktion, kein SMS, es funktionierte nur mit Breitbandanschluss, es war zu diesem Zeitpunkt ein technisch unausgereiftes System, dass aber trotzdem über hohe Akzeptanz verfügte, der Markt war offensichtlich weltweit da und kein ernst zu nehmender Konkurrent in Sicht.
Ich hatte das bessere Produkt in der Tasche. Das war der Punkt, als ich etwas Besonderes spürte, jede Zelle in meinem Körper reagierte. Es war der Moment gekommen, den mir mein Mentor vorhergesagt hatte. Jetzt musste ich diese Chance ergreifen, musste es durchziehen. Eine wichtige Erkenntnis in meinem Leben ist, mich immer nur auf eine Sache zu konzentrieren, wenn ich sie zur Vollendung bringen möchte. Das begann mit den programmierten Spielen als 12-jähriger und setzte sich bis zu meiner Business-Software fort. Die Erkenntnis dieser neuen, größten Chance in mir war eindeutig. Sie war so stark, dass sie meine ganze Kraft mobilisierte. Über die Details des weiteren Vorgehens war ich noch nicht im Bilde. Doch die Idee lag klar auf dem Tisch: So wie ich mit Supervisor eine bessere Warenwirtschaftssoftware entwickelte, wollte ich jetzt ein besseres Skype entwickeln. Der Vorteil: Skype war schon auf dem Markt, wir kannten die Konsumentenbedürfnisse und unser Videosystem war in den wichtigsten Eckpunkten schon entwickelt. Marktforschung, wie sie sonst einer Produktentwicklung vorausgehen muss, war damit nicht erforderlich. Ein Großkonzern wie Procter, Unilever oder Henkel entwickelt im Schnitt 60 Prototypen und führt aufwändige Tests durch, bis ein einziges marktfähiges Produkt in Serie geht. Doch es geht auch anders. Das habe ich von John Doerr gelernt.
DER BEGINN VON JAJAH
ES GIBT IMMER EINEN MARKT. MAN MUSS IHN NUR SEHEN.
Der Elektrotechniker John Doerr ging in den 1970er Jahren im Silicon Valley eine Straße entlang, als er plötzlich eine ungewöhnliche lange Menschenschlange stehen sah. Was war hier los? Unter den Leuten waren auch Freunde und Bekannte von Doerr. Was zum Teufel konnte so wichtig oder interessant sein, dass man sich dafür stundenlang zwischen verschwitzten Programmierern einpferchen lässt? Doch diese Leute hatten nichts Besseres zu tun, als in einen Apparat Dollarmünzen zu werfen. Ein paar primitive Computerspiele fesselten sie, ließen sie alles andere vergessen. In diesem Moment hatte Doerr eine Idee – und gleichzeitig den besten proof of concept, den er sich erträumen konnte. Aus dem Automaten wurde Atari und stieg in den 1980er Jahren zum weltgrößten Entwickler von Spielautomaten auf. John Doerr wurde einer der einflussreichsten Manager, verhalf später auch Intel zum Durchbruch und finanziert mit dem von ihm gegründeten Fonds Giganten wie Google, Compaq oder Amazon.
Genauso lief die Marktforschung für unser Videosystem ab. Es ging nicht darum, irgendeine verrückte Vision zu entwickeln, für die es noch keine Interessenten oder Konsumenten gab. Der Markt für das System war bereits da. Man musste nur die Augen öffnen – und wie in unserem Beispiel seine geliebte Ehefrau beobachten, wofür sie bereit war, jeden Tag eine Menge Zeit und am Ende des Monats einen Haufen Geld zu investieren: Kommunikation. Stundenlang wird mit allen Freundinnen übers Telefon geplaudert, gelacht, geweint oder einfach nur zugehört. Koste es was es wolle. Nicht nur ich, auch alle meine Freunde hatten am Ende des Monates eine satte Rechnung auf dem Tisch liegen.
Gleichzeitig wurde die Welt seit den 1990er Jahren durch das Internet kleiner. Globale Kontakte wurden enger geknüpft, nicht nur im Business sondern vor allem auch im privaten Bereich. Hunderte Millionen Migranten in aller Welt konnten mit den neuen Technologien wieder verstärkt Kontakt zu ihren Familien pflegen, alte Freunde meldeten sich plötzlich wieder irgendwo auf dem Planeten, auch wenn es sich technisch noch mühsam gestaltete, zum Beispiel im stickigen, lauten Internetcafé in Nairobi via Skype mit Headset und Uralt-PC ein gutes Gespräch zu führen.
Das Thema war also Telefonie: Viel zu teuer, obwohl es eigentlich keinen Grund mehr dafür gab. Denn schon damals wurde die gesamte Telefonie über IP übertragen, alles war bereits digital und kostete im Grunde fast nichts mehr. Entfernungen spielten technisch überhaupt keine Rolle mehr. Dennoch waren die Preisunterschiede regional, national und international enorm. Wir alle wurden im Grunde so richtig abgezockt.
Diese unnötigen Hürden der Kommunikation wollte ich beseitigen – und voice over IP für den User so simpel wie möglich gestalten. Internationales Telefonieren sollte vom PC befreit und raus auf die Straße gebracht werden.
Das Videosystem hatte gegenüber Skype einige wesentliche Vorteile: Es hatte eine größere Funktionsvielfalt, man hatte die Videokonferenzfunktion auch für mehrere Teilnehmer gleichzeitig, man konnte mit Icons chatten, man konnte nicht nur PCs sondern auch direkt Handys oder Festnetztelefone anrufen. Der Hauptunterschied war, dass es keinen Breitbandanschluss benötigte. In Europa gab es zu diesem Zeitpunkt kaum Breitband, nur in Amerika war es schon einigermaßen weit verbreitet. Außerhalb dieser Zonen war das Breitband auch auf lange Sicht noch überhaupt kein Thema. Jedenfalls konnte mein System mit seinem Codec – also dem Codierungs- und Decodierungsverfahren – die Sprache weitaus besser übertragen. Die Datenpakete waren im Vergleich zu Skype extrem komprimiert. Wenn man beispielsweise am Flughafen war und über Wireless LAN telefonieren wollte, war Skype viel zu langsam. Mein Produkt aber konnte man dort problemlos einsetzen.
Das war revolutionär.
BEGEISTERUNG. DANN KOMMT DER REST VON SELBST.
Der Startschuss fiel im 4. Bezirk in Wien. Mit einem kleinen, aber talentierten und motivierten Team aus Programmierern krempelten wir die Ärmel hoch. Noch viel zu technikorientiert, aber getrieben von grenzenloser Überzeugung arbeiteten wir von Beginn an wie besessen in Tag- und Nachteinheiten der Entwicklung unseres Systems.
In dieser Phase wurde uns auch Mitbegründer Roman Scharf vorgestellt. Er war international tätiger Business Consultant und hatte bereits einige erfolgreiche Projekte entwickelt. Auch Roman sah das gewaltige Potential und war von Anfang an von unserer Idee überzeugt. Er war sofort bereit, persönlich mitzuarbeiten und für die Entwicklung auch Geld in die Hand zu nehmen.
Es war geplant, dass Roman und ich vor allem Beratungsfunktion auf strategischem Level ausüben und nicht das operative Management übernehmen. Wir versuchten es mit einem bereits erfahrenen Internetunternehmer als operativem Geschäftsführer, erkannten aber schon bald, dass wir selbst die bestgeeigneten Kandidaten sind. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich Geschäftsführer, war für die finanziellen und technischen Dinge zuständig, Roman übernahm das Marketing und die PR.
Vorerst war das Projekt als rein österreichische Lösung geplant. Wir hatten zwar auch den internationalen Markt im Fokus, aber der Standort sollte vorerst in Wien bleiben.
Das Projekt wuchs rasend schnell, wir brauchten laufend Verstärkung. Bürokräfte, Entwickler, Grafiker, österreichische und deutsche Marketingleute begeisterten sich für unsere Idee. In dieser Gründerphase, in der Zeit von September 2005 bis März 2006 entwickelte sich ein fantastisches Startup-Feeling. Unser 180m2-Loft wurde künstlerisch gepimpt, an den Wänden leuchteten Graffitis, das Mobiliar bastelten wir selbst. Als hochmotiviertes Team brauchten wir keine geordneten Arbeitszeiten. Bei abendlichen gemeinsamen Brainstormingsessions mit Rotwein, viel Witzen und Gelächter fanden die Lern- und Entwicklungsprozesse informell, aber umso effektiver statt. Zu Mittag kamen Pizzalieferungen und mein geliebtes Cordon Bleu. Die Entwickler verbrachten Tage und Nächte im Büro, schliefen inklusive Hund auf der Couch. Die Energie kam aus dem Kühlschrank in Form von Cola, Mannerschnitten, Nüssen und Gumminaschereien. Skateboard, Scooter, Bälle und Spielzeug sorgten für Bewegung, Spaß und Kreativität.
Auf unserem Blog finden sich noch heute die wichtigen und die nicht ganz so ernsten Geschichten aus dieser Zeit. Zwischen Meilensteinen wie den Verträgen mit Paypal und Paysave berichten wir über die erste große Party, zu der Leute aus Asien, Australien und den USA eingeflogen wurden, über die unglaublich schnell steigenden Userzahlen und den ersten Grand Prix mit Bürosesseln über einen unglaublich schwierigen und schnellen Parcours im Office..
DER BRANDINGPROZESS
Arbeitstitel für unser Projekt war MPQ. Wir erkannten aber schon bald, dass wir einen starken Namen brauchen, eine Brand, die international bestehen konnte und richtig Power hat. Für diesen Begriff definierten wir 5 harte Parameter, die erfüllt werden mussten:
- Wir brauchten eine .com-Domain, ohne die wichtigste Toplevel-Adresse im internationalen Business ist ein Internet-Startup nicht denkbar. Der Haken an der Sache: Schon damals waren 50 Millionen .com-Domains vergeben. Eine freie .com-Domain für einen guten Namen zu finden gestaltet sich wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit dem Zusatz, dass wir den Heuhaufen auch noch selber erfinden mussten.
- Grundsätzlich wurde analysiert, ob der Begriff selbsterklärend sein soll, also das Thema Telefonie kommuniziert. Wenn man aber strategisch berücksichtigt, dass irgendwann 50 Player auf dem Markt sind, die alle das Thema im Namen haben, ist man damit nicht mehr unterscheidungsfähig: Freephone, Globalphone oder vieles mehr stand zur Wahl – doch damit wären wir irgendwann nur mehr eine dieser Phone-companies.
- Beschreibende Wortkompositionen sind auch nicht so gut schützbar und langfristig einengend, wenn man z.B. sein Produkt-Portfolio erweitern möchte. Es sollte also ein abstrakter Begriff gefunden werden, den es so gut wie gar noch nicht gab. Dieser würde über volle Alleinstellung verfügen und könnte im Zuge des Brandings mit den gewünschten Emotionen aufgeladen werden.
- Der Name sollte kurz sein, maximal 5 Buchstaben haben. Und wir wollten einen Buchstaben haben, der nicht zu oft im Alphabet vorkommt, wie beispielsweise Q, X oder J. Damit sollten Alleinstellungsgrad und Merkbarkeit erhöht werden.
- Das sollte Wort weltweit leicht aussprechbar sein. Damit hatten wir die Suche eingegrenzt. Rein rechnerisch ergeben sich z.B. für Kombinationen mit 5 englischen Lettern 11,9 Millionen Varianten. Mit je 2 Vokalen sind es nur mehr 231.525 Varianten. Mit den Anfangsbuchstaben Q, X oder J sind es 33.075 Varianten. Also immer noch genug Auswahl…
Die schwierigste Hürde war wie erwartet die .com-Domain. 50 Millionen gegen 33.075. So saßen wir also stundenlang, zuletzt mit einer Flasche Rotwein und probierten einen Namen nach dem anderen – ohne Erfolg. Alles war erlaubt, kein Lösungsansatz war zu verrückt, um nicht ausprobiert zu werden. Im Laufe des Abends begannen wir uns sogar mit der Sprache der australischen Aboriginies zu beschäftigen, von der wir ein Wörterbuch entdeckt hatten. Irgendwann sind wir auf ein sonderbares Wort gestoßen: Jajah, vollkommen unbekannt, eigenständig und doch merkbar. Nur 5 Buchstaben kurz, seltener Anfangsbuchstabe, löst spontan positive Assoziationen aus. Sofort erfolgten die ersten Checks, wir prüften die freie .com-Domain und die Suchmaschinentauglichkeit, wie viele Ergebnisse der Begriff z.B. bei Google erbringt: Je weniger Resultate, desto besser, desto größer die Chance, uns ganz nach oben zu platzieren – und Jajah war völlig unbesetzt. Damit war der Name gefunden.
Wir wollten die Firma als GmbH gründen – aber mit dem Namen Jajah war das vorerst nicht möglich. In Österreich ist beim GmbH-Namen ein beschreibendes Element erforderlich. Es waren eine Menge Gutachten erforderlich, um die Behörden letztlich zu überzeugen, diesen Namen allein einsetzen zu dürfen.
Für das Logo hatten wir einen erstklassigen Grafiker engagiert. Wir besorgten uns die wichtigsten Logos von Weltkonzernen wie Nike oder anderer Top-Brands. Unser Logo sollte sich in diesem prominenten Umfeld harmonisch einfügen, die Kraft haben, inmitten dieser großen Marken zu bestehen. Wir entschieden uns für eine ganz einfache Schriftart, einen fetten Font, ohne jegliche Schnörkel. Sieht man sich die großen Marken an, erkennt man, dass alle sehr einfach sind.
Jajah Typo

Über dem Schriftzug wurde ein kleiner Bumerang platziert, das Symbol für den Bullroarer, das erste, von den australischen Ureinwohnern erfundene Kommunikations-Gerät. Damit schufen wir ein Icon mit dem Potenzial des Nike-Swoosh. Von Beginn an war damit die Basis für einen mehrstufigen Markenaufbau geschaffen: Zuerst die Marke Jajah, dann der Claim wie free your voice. Ist man gut etabliert, kann der Claim weggelassen werden. Gelingt es, ganz nach oben zu kommen, kann auch das Logo weggelassen werden. Das Icon allein reicht, um erkannt zu werden.
Das nächste Thema: Welche Farbe? Im Vergleich der Mitbewerber stellten wir fest, dass Purple unbesetzt ist. Schnell kamen kontroverse Diskussionen auf, da Purple unterschiedliche historische und aktuelle Bedeutungen hat. In der antiken Welt war es die Farbe der Macht, auch in der Kirchengeschichte jene der Kardinäle, in der Jugenstilzeit war es die beliebteste Farbe der Künstler, gilt aber auch als die Farbe der Magie und seit ein paar Jahrzehnten als jene der Homosexuellen. Sie steht im Spannungsfeld zwischen dem kalten, rationalen Blau und dem warmen, emotionalen Rot. Schon Nuancen verändern ihre Wirkung. Als Resultat dieser Erkenntnisse fanden wir die richtige Mischung, nahe am Rot. Dieses Purple transportiert unser Feeling für die Marke noch heute.

DER SEQUOIA DEAL
Sequoia Capital ist eine der bedeutendsten Beteiligungsgesellschaften der Welt mit Sitz im Silicon Valley. 1972 von Don Valentine gegründet finanziert Sequioa die heute wichtigsten Technologie- und Internetfirmen sowie weltweit nachhaltige Energie- und Gesundheitsprojekte. Was sollte dieses legendäre Unternehmen mit einer kleinen österreichischen Firma in Wien am Hut haben?
Mike Moritz, bei Sequoia Partner von Atari-Gründer John Doerr, der auch Yahoo und Google ganz nach oben gebracht hatte, war im Job viel unterwegs. Wieder einmal saß er am Flughafen. Neben ihm telefonierte ein Banker über seinen Laptop. Moritz fragte ihn, wie er das anstellte, Skype würde ja hier nicht funktionieren. Es war auch nicht Skype. Es war das neue In-Produkt: Jajah. Der Vorteil von Jajah war so wesentlich und überzeugend, dass Moritz sofort mit uns Kontakt aufnehmen wollte.
Sequioa versuchte im ersten Anlauf, Jajah in Australien aufzuspüren. Als Haim Sadger, Managing Partner von Sequoia schließlich korrekterweise in Wien landete, sollte er vor dem Beginn des Gesprächs unser non-disclosure-agreement unterschreiben. We do not sign NDAs war die knappe Reaktion von Sadger, der nur sechs Stunden in Wien zu bleiben beabsichtigte. Roman und ich wollten die Powerpoint-Präsentation, an der wir tagelang gearbeitet hatten, starten. Sadger aber hatte keine Ambitionen, sich unsere Show anzusehen: Tell me about yourself and your ideas! Überrascht, mit den Worten wir haben das bessere Skype, aber das interessiert uns nicht mehr starteten wir unsere Statements. Wir werden etwas anderes machen. Wir machen Internettelefonieren so einfach wie googlen. Statt einer einseitigen Präsentation entwickelte sich nun ein Workshop, eine interaktive Brainstorming Session. Am Ende waren wir alle drei hochzufrieden mit den Ergebnissen dieses visionären Gesprächs.
Am Weg zurück zum Flughafen – es war bereits mitten in der Nacht – erzählte Sadger, dass sein Elternhaus in Wien steht. Kurzerhand fuhren wir mit ihm vorbei und bescherten unserem neuen Partner vor seinem Rückflug noch einen sehr emotionalen Moment.
Mit diesem Deal wurde das erste Europa-Investment von Sequoia fixiert – allerdings mit der Forderung, unseren Firmensitz in die USA zu verlegen. Eine Woche später waren sämtliche Firmenrechte in die Jajah Inc. übertragen, 2 Wochen später flossen 3 Millionen US-Dollar an Jajah in Wien. Das alles ging so schnell, dass das neue Konto noch gar nicht offen war, was angesichts der prominenten US-Geschäftspartner aber eiligst durch die Bank erledigt wurde, inklusive einem freundlichen Überziehungsrahmen, der ebenfalls auf 3 Millionen Dollar fixiert wurde.
Das war der Moment, als endgültig klar war, dass das die once in a lifetime opportunity ist. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich: Alles andere muss weg. Ich hatte nun alle meine Geschäftspartner angerufen und ihnen mitgeteilt, dass ich aussteigen würde. Das Verständnis war nicht allzu groß. Für die meisten war es völlig normal, auf vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Aber ich wollte ab diesem Zeitpunkt nicht einmal eine Minute verschwenden, um Probleme von jemandem anderen zu lösen. Ich wollte alles in mein eigenes Ziel investieren – und auch meinen Geist freihalten für die Ideen, die man permanent auf dem Weg dorthin braucht. Sie kommen in den skurrilsten Momenten, im Bad, im Schlaf, beim Autofahren. Aber: So schnell, wie sie kommen, sind sie oft wieder weg. Es ist wichtig, sich frei zu spielen, diese Ideen zu fassen und sie konsequent zu realisieren. Jede Ablenkung ist dabei hinderlich. Jeder Gedanke, der irgendwo anders hinschweift, ist verlorene Energie.
Als wir nach Amerika kamen, wurde in den USA ein Foto von einem österreichischen Bergdorf mit Pfeil publiziert, aus dem wir angeblich stammen würden. Roman und ich waren diese zwei Österreicher, die jetzt mit den ersten 3 Millionen Dollar in den gleichen Büros saßen, wo einst Larry Page und Sergey Brin Google groß herausbrachten. Ein gewaltiger Sprung nach vorne – an den Start einer noch größeren Herausforderung.
Management Facts
DESOXYRIBONUKLEINSÄURE
Wir hatten für eine österreichische Gründung ein Vermögen in der Firmenkassa. Für ein internationales Startup-Projekt war das aber gerade mal eine Starthilfe. Doch wir hatten eine faszinierende Idee, die alle überzeugte, jeder spürte, dass hier etwas Besonderes heranwachsen würde. So bekamen unsere Partner statt Geld Aktienoptionen und arbeiteten zum Selbstkostenpreis. So eine Ausgangssituation ist der größte Glücksfall für einen Unternehmer: Eine starke Idee auf den Tisch zu legen und seinen Leuten Anteile daran zu geben. Sonst ist die erste Phase mit ihren enormen, oft unterschätzen Entwicklungskosten sehr schwer zu finanzieren. Wir legten für unsere Mitarbeiter einen minimalen Tarif fest, den sie in dieser Phase zum Leben brauchten – zum Beispiel 20. Den Rest, 80 erhielten sie zum aktuellen Wert in Aktienoptionen. Diese eiserne Regel hielten wir für alle Lieferanten ein. Wer mit uns arbeiten wollte, musste in unsere Firma investieren. Damit waren alle Mitunternehmer, haben Tag und Nacht an dem gemeinsamen Ziel gearbeitet, als wäre es die eigene Firma. Und alle haben davon profitiert: Aus den 80 wurden schließlich 8 Millionen.
Dieses Bündeln, das gemeinsame Fokussieren der ganzen Kraft auf ein gemeinsames Ziel ist die wichtigste DNA in meinen Unternehmungen. Diese DNA muss von Beginn an von allen Mitarbeitern gelebt werden. Die DNA aus der Gründerphase steckt übrigens heute noch in Jajah, obwohl das Unternehmen mittlerweile 150 Mitarbeiter hat und Teil eines Großkonzerns ist. Jene Startups, denen es nicht gelingt, ihre Mitarbeiter und Partner zu begeistern, sie zu Mitunternehmern zu machen, haben ein Problem, das sie nicht mehr loswerden. Vielen Kollegen ist das passiert, sie sind früher oder später an mangelnder Qualität ihres Produktes, an einer unkontrollierbaren Kostenexplosion oder an übermäßig langer Entwicklungszeit gescheitert.
Die erste und wichtigste Voraussetzung für eine starke DNA ist, dass der Firmengründer selbst das unangefochtene Vorbild ist. Nur so können sich die Mitarbeiter mit ihm identifizieren. Der Prozess beginnt beim ersten Mitarbeiter. Er wird seinen Vorgesetzten beobachten, wenn es gelingt, ihn mit dem eigenen Verhalten zu gewinnen und nachhaltig zu überzeugen wird der Mitarbeiter das Verhalten imitieren. Wenn der Chef pragmatisch und zielorientiert ist, sorgsam mit Ressourcen umgeht aber gleichzeitig kompromisslos an der Qualität feilt wird es der Mitarbeiter auch tun. Der nächste Mitarbeiter hat dann bereits zwei Vorbilder. Alle neuen Mitarbeiter haben dann immer mehr genau dieser Vorbilder, an denen sie ihr Verhalten ausrichten können, irgendwann verselbständigt sich dieser Prozess – und es geschieht etwas beinahe spirituelles: Aus der DNA wird ein Kult. Und ein Kult zeichnet sich durch Widerstandsfähigkeit und Überlebenskraft aus. In der Geschichte der Menschheit waren es immer die Hochkulturen, die Jahrtausende überlebt haben. Unkoordinierte Horden von kriegerischen Barbaren sind nach kurzen Eroberungszügen schnell wieder im Dunkel der Geschichte untergegangen.
Jajah Energydrinks
Der Chef ist derjenige, bei dem alles zusammenläuft, der die Finanzierung aufstellt und immer das große Ziel vor Augen hat. Wenn die Begeisterung Teil der DNA ist, kommen in den heißen Phasen die Programmierer mit dem Schlafsack in die Firma. Und sie hören erst auf, wenn ihnen der Kopf auf die Tastatur fällt, um am nächsten Morgen sofort weiter zu arbeiten. Dazu gehört auch, dass jeder einzelne weiß und auch spürt, dass er wichtig ist. In meinen Unternehmen ist jeder extrem wichtig. Jeder Einzelne leistet einen klaren, sichtbaren und messbaren Beitrag zum gemeinsamen Erfolg. Das Kernteam, maximal etwa 30 Leute, muss annähernd rituell eingeschworen werden. Dafür nehme ich mir für jeden einzelnen eine Menge Zeit. Wir verbringen viele Stunden miteinander und stimmen uns zu hundert Prozent auf das gemeinsame Projekt, das gemeinsame Ziel ab. So, dass diese Leute wie ich in der Nacht aufwachen und eine Idee haben, wie eine Aufgabe im Projekt zu lösen ist. Natürlich haben alle ein Privatleben, Hobbys, Familie oder Partner. Es muss ihnen aber klar sein, dass sie eine Weile weg sind, wie die Seefahrer des 15. und 16. Jahrhunderts bei ihren Entdeckungsreisen. Aber sie werden zurückkommen. Und sie werden eine reiche Beute mitnehmen.
In dieser Gründerphase eines Startups muss alles andere zweitrangig sein. An erster Stelle steht das Projekt. Die Bereitschaft, sich darauf zu hundert Prozent einzulassen, kann ich schon im ersten Gespräch erkennen. Den Hunger, den ich habe, muss ein Bewerber auch haben. Dafür bekommt er im Projekt auch den Brocken, der seinen Hunger stillen kann. So entsteht mit der Zeit eine starke gemeinsame Basis und es wächst das gegenseitige Vertrauen. Diese hoch motivierten Leute werden die loyalsten Mitarbeiter. Und sie haben auch den loyalsten Chef.
HEADCOUNT, BLUMEN UND UHRWERKE
Ein frisch gebackener Wirtschaftswissenschafter wird personellen Ressourcen so planen, wie er es an der Uni gelernt hat. Am Beispiel eines Blumenhändlers: Der Chef produziert 10 Sträuße pro Tag. Nun erhält er einen neuen Großkunden und muss den Output auf 40 erhöhen. Wie viele Leute stellt er ein? Wer jetzt an 3 gedacht hat, hat theoretisch recht und den Headcount brav hochgerechnet. Praktisch sieht die Welt aber anders aus. Wenn der Blumenhändler seinen ersten Mitarbeiter einstellt, wird er vielleicht bestenfalls ein Drittel pro Tag schaffen. Damit der Blumenhändler seine Produktivität verdoppelt, braucht er also drei Leute. Drei Leute müssen aber gemanagt werden, sonst hat der Blumenhändler keine Zeit, seine eigenen 10 Sträuße zu fertigen. Er braucht also noch einen vierten Mitarbeiter. Vier zusätzliche Leute für gerade mal doppelt so viel Output wie der Chef allein schafft. Ein teurer Spaß.
An dieser meist späten Erkenntnis sind schon viele Jungunternehmer gescheitert. Wenn der erste neue Mitarbeiter nicht den Output verdoppelt sind sie enttäuscht oder verzweifelt, werfen ihn wieder raus und versuchen es mit dem Nächsten. Bald erkennen sie, dass sie so nicht weiterkommen.
Wenn man wirklich etwas aufbauen will, muss man vom Start weg einsehen, dass in der ersten Phase die Produktivität sinkt. Am besten denkt man bereits von Beginn an das größere System mit: Eine Organisationsstruktur, die so ausbaufähig ist, dass sie auch für 100 Mitarbeiter funktioniert. Die Management-Schlüsselpositionen müssen mit Leuten besetzt werden, die viel besser sind, als es in der ersten Phase notwendig erscheint. Sie müssen die Zeit erhalten, sich in das Projekt einzuleben. Sie werden ihr volles intellektuelles Potenzial vielleicht erst 2 Jahre später einsetzen können. Spätestens dann passiert allerdings etwas Besonderes. Das Projekt läuft jetzt wie von selbst, passt sich allen Erfordernissen an und wächst gesund weiter.
Ähnliches gilt auch für die Programmierer. Viele Gründer denken, dass sie sofort 10 Programmierer brauchen, die dann sofort produktiv sein müssen. Viel eher sind aber Managertypen gefragt, die sich um die Tasks kümmern: Um z.B. im Rahmen von quality and assurance die Produktfunktionalitäten den Vorgaben entsprechend abzustimmen, also Leute, die zu Beginn scheinbar völlig unproduktiv sind. Aber auch sie sind ein unverzichtbarer Teil einer nachhaltigen Struktur. Zu Beginn kosten sie Zeit, Geld und manchmal auch Nerven, man hat das Gefühl, es wäre alles Verschwendung. Ab etwa 50 Mitarbeitern beginnen sich diese Leute zu bewähren. Ab jetzt wird es immer leichter, auf 100 oder mehr aufzustocken.
Irgendwann kam ich morgens ins Büro. Kurz zuvor hatte ich den letzten Bereich, das Produktmanagement aus der Hand gegeben, das war bisher absolute Chefsache. An diesem Tag ging es um die Adaptierung einer Funktion. Das wurde aber mittlerweile von meinem Produktmanager erledigt. Wie auch eine aktuelle Finanzfrage vom Finanzvorstand. So saß ich also da in meinem Chefsessel – sah in den Kalender, checkte meine E-Mails und frage mich, wo ich heute gebraucht werde. Doch die Firma lief mittlerweile vollkommen selbständig, wie ein Uhrwerk. Ich hatte absolut nichts mehr zu tun.
DATING
Grundsätzlich passen die Materien Technik, Finanzen und Kreativität überhaupt nicht zusammen. Selten, dass eine Person all diese Fähigkeiten in sich vereint. Sie sind aber unverzichtbar. Vor allem auf dem Executive Level müssen aber Leute stehen, die alle diese Fähigkeiten abdecken, also sehr heterogen sind. Das wichtigste für das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Kräfte ist das hunderprozentige Vertrauen. Jeden von diesen chief officern, der chief financial officer, chief executive officer sollte man heiraten können. Denn mit diesen Leuten verbringt man mehr Zeit als mit seiner Ehefrau. Diese Erkenntnisse müssen bei der Wahl dieser Manager berücksichtigt werden.
Wir haben mit unseren Leuten monatelang zusammengearbeitet, bis wir sie fix eingestellt haben, alle Aspekte des Zusammenarbeitens wurden genau beobachtet. Auch die zwischenmenschliche Ebene ist extrem wichtig, die Emotionen sind ebenso für das Funktionieren im Team bedeutsam wie die fachliche Qualifikation. Wenn manche Leute aus einem anderen Kontext die besten Referenzen haben, hochintelligent, loyal und engagiert sind, heißt das nicht immer, dass sie auch ins Team passen.
Wenn ein Unternehmen bekannt wird und stark wächst, wird man von allen möglichen Headhuntern kontaktiert, sie wollen die Topmitarbeiter rekrutieren – und natürlich sehr viel Geld damit verdienen. Das funktioniert bestenfalls im Bereich der Techniker und Programmierer. Auf der Top-Executive Ebene muss man das selbst erledigen. Für die Suche eignet sich am besten das eigene, persönliche Netzwerk. Man muss sich viel Zeit für diese Leute nehmen, alle Tasks mit ihnen genau durchbesprechen, ihnen laufend Feedback geben, muss mit ihnen essen gehen, sich mit ihnen sozialisieren. Es ist wie ein Dating über den Zeitraum von 6 Monaten. Wenn dann alles passt, kann man sie einstellen.
PRODUKTSTRATEGIE, PRODUKTMANAGEMENT, LAUNCH
Bei AOL ist ein Vorstandbeschluss nötig, wenn die Firmenfarbe nur um eine Nuance geändert wird. Warum? Der Grund liegt in den vielen psychologischen Dimensionen des menschlichen Verhaltens. Eine kleine Nuance mehr Blau kann zum Beispiel unsere Logo-Farbe Purple zu kalt erscheinen lassen. Etwas mehr Rot, und die Farbwirkung ähnelt der von Blut, gutes Hollywood-Blut wie auch echtes Blut sind nie rein rot sondern enthalten immer einen Schuss Blau. Dann wirkt es. Wenn sich auch die meisten Menschen dieser Wirkungen nicht bewusst sind, reagieren sie darauf. Dazu kommen interkulturell unterschiedliche Voraussetzungen. Das Ergebnis ist in den Zugriffs- und Verkaufszahlen der jeweiligen Märkte ablesbar. So steckt auch viel Potenzial oft nur in einem einzigen Satz: Je nachdem, wie man ihn formuliert, bekommt man 10% mehr oder weniger User. So haben wir vieles ausprobiert, zum Beispiel jetzt gratis registrieren. Der beste Satz war: More than 10 million people can´t be wrong. 12% besser als alle anderen. Das kann man nicht erahnen, man muss es einfach ausprobieren. Gerade bei Internetprodukten mit extrem hohen direkten Userkontakten ist die Frage, was wo steht und in welcher Farbe von extremer Relevanz für den Erfolg eines Produktes. Der Vorteil ist, dass diese Parameter im User-Interface gegenüber anderen, industriellen Produkten leicht geändert werden können. 10.000 VW Golf umzulackieren kann verdammt teuer werden. Der Rest, das komplexe Produkt dahinter ist gutes Handwerk.
MIKRO- UND MAKROMARKT
In der Marketingtheorie spielen die so genannten Early Adopters eine entscheidende Rolle. Sie sind die ersten, die ein neues Produkt ausprobieren, wollen immer das jeweils Beste, das gerade auf dem Markt ist und üben in einem großen Bekanntenkreis eine wichtige Beraterfunktion aus. Sie sind bereit, sich eingehend mit den einzelnen technischen Features in allen Details auseinander zu setzen. Viele Startups zielen mit ihren komplexen, hochtechnisierten Produkten auf diese Early Adopters ab und schaffen dabei nicht den großen Durchbruch. Was sie bei ihrer zweistufigen Strategie nicht berücksichtigt haben: Nur der absolut begeisterte Early Adopter empfiehlt das Produkt weiter. Und das gelingt in den seltensten Fällen. Viele Produktkategorien sind auch wenig emotional besetzt und taugen im Grunde ihres Wesens nicht, Begeistung auszulösen, sind sie auch noch so gut und durchdacht. Die Begeisterung reduziert sich auf das Entwicklerteam und wird bald abgelöst von der Ernüchterung des herannahenden Konkurses.
Einen Massenmarkt erreicht man nur mit einem Produkt, das von Anfang an von der Masse angenommen wird, das auch schon bei kleinen Markttests funktioniert und eine starke Breitenwirkung erzielt. Das ist auch der Grund, weshalb wir die vielen Videofunktionen, über die unser System zu Beginn verfügte, gestrichen haben. Der Kern war das einfache, zuverlässige und günstige Telefonieren.
Wenn man also wie Marc Zuckerberg sieht, dass eine Idee auf der Mikroebene, z.B. der Uni erstklassig funktioniert, dann hat man eine große Chance. Jetzt muss man alles draufsetzen. Man hat eine Goldmine gefunden. Mit einem großen Marketingbudget kann man jedes Produkt in den Markt hinaustreiben. Wenn aber etwas schon im Kleinen wie von selbst funktioniert, wenn es viral ist und von selber wächst, dann hat es das Potenzial, fast von selbst richtig groß zu werden. Das war auch bei yahoo, google, youtube und facebook so. Sie alle hatten etwas, was im Mikroformat schon explodiert ist, sie haben alle gespürt, es zieht an, es fährt hoch. Das sehen auch alle Investoren so, mit denen ich gesprochen habe. Natürlich gibt es auch Angel Money für Startups mit sehr spekulativen Businessmodellen, aber die meisten Investoren schauen sich solche Projekte nicht einmal an. Wenn einer nicht etwas hat, was im Kleinen schon funktioniert und er nicht beweisen kann, dass es der Markt jetzt und hier schon braucht, soll er nach Hause gehen und wieder kommen, wenn er das Richtige gefunden hat.
LAUNCH 1: SILENT
Roman und ich begannen Anfang 2005 intensiv, unser Telefonie-System zu entwickeln, eine Funktion nach der anderen auszubauen und immer weiter zu perfektionieren. Doch irgendwann muss man mit dem Produkt auf den Markt, sonst laufen die Kosten davon. Wenn man 80% der Produktentwicklung erreicht hat, musst man raus, denn 100% wird man wenn überhaupt in der ersten Phase nicht schaffen. Wer das versucht, verzettelt sich hoffnungslos. Ich kenne jede Menge Startups, die das versucht haben. Sie haben über Jahre nur entwickelt, bis ihnen das Geld ausging und der Markt schon vollkommen wo anders war, das Produkt passte überhaupt nicht mehr. Sie haben verabsäumt, den Kontakt zu den Kunden zu suchen, diese urteilen zu lassen und an ihren Reaktionen ihr Produkt laufend zu optimieren. Die eigene Vorstellung von Perfektion geht in vielen Fällen an der Realität des Marktes völlig vorbei, oft auch an den eigenen Möglichkeiten und Ressourcen. Kein Wunder, dass viele Burnout-Opfer Perfektionisten sind, die daran zerbrechen, ihr viel zu hochgestecktes Ziel auch nicht annäherd zu erreichen.
So saßen wir also zusammen und beschlossen: Jetzt drehen wir auf. Ohne Werbung, silent launch, einfach mal testen wie es läuft. Die Server waren auf unseren Bürocomputern, die Website war bis dahin nur kryptisch angeteast: Da kommt was. An einem Freitag Abend wurde die Website live gestellt. Die verbleibenden 20% der Produktentwicklung würden niemand auffallen, die gab es ja nur in unseren Köpfen. Ob man 10 Animationen verschicken kann, oder nur 5 ist ja auch wirklich egal. Wir gingen ins Wochenende und ließen es mal laufen, ein paar Leute würden schon anbeißen.
Montag früh kam ich ins Büro, schaltete meinen Computer ein. Kein Internet. Ich fragte meine Kollegen, ob bei ihnen das Internet ging – auch nicht. Wir riefen den Provider an, um zu fragen was hier los ist. Daran lag es auch nicht. Erst als wir weitere Nachforschungen anstellten, war klar, was hier passiert ist. Ein Blogger namens Robin Good hatte uns im Internet gefunden. Er betreibt heute noch einen Blog namens Master New Media, mit Sitz in Italien. Alles was er schreibt, wird automatisch in Tech Crunch veröffentlicht, die größte meinungsbildende Plattform der Welt für Computerprodukte von Startups. Dieser Robin Good hatte unser Produkt downgeloadet, ausprobiert und geschrieben: The new Skype Killer has arrived: Jajah. Aufgrund dieser Meldung luden sich 70.000 Leute unser Produkt runter – an einem Wochenende. Unsere Server waren natürlich tot. In einer Nacht- und Nebel-Aktion versuchten wir, die Server-Last zu verteilen und zumindest eine Zwischenlösung zu finden.
STRATEGIE 1: DER MUTANT
Den Markt zu checken, ist ein existenzielles Erfordernis. Man muss aber auch in jeder Phase schauen, was die anderen machen – oder noch machen werden. Es gibt bei jedem guten Produkt in jede Menge me-toos, die sich kürzester Zeit auf den Markt werfen und ihr Glück versuchen. Zuerst muss man sein Produkt schützen. Dann muss man es verteidigen. Als Erster hat man zwar den first-mover-advantage, es kommen aber schnell andere, die es vielleicht sogar besser machen. Auch wir wären mit Jajah in der Urversion immer die Nummer zwei hinter Skype gewesen. So haben wir an einem entscheidenden Punkt die Strategie geändert. Es war wohl auch ein wenig Glück mit im Spiel. Wieder mal ging es darum, alle Sinne einzusetzen und wie das Krokodil im richtigen Moment zuzupacken.
Ich hatte ein Schlüsselerlebnis. Wie schon so oft saß ich wieder einmal zu Hause im Keller und programmierte, verbesserte die Sprachübertragungsqualität. Wir hatten gegenüber Skype den Vorteil, dass wir von unserem Client ein echtes Telefon und nicht nur einen PC oder Laptop anrufen konnten. Man sitzt am Computer, gibt die Nummer ein und in Amerika läutet das echte Telefon. Packet Switched Data Network, PSDN nennt sich die Technologie dahinter. Bis hierher hatte ich alle wesentlichen Funktionen gebaut, alles geschrieben und programmiert. Wir waren bereits im Netz, hatten nach dem Server-Crash mittlerweile Hochleistungs-Server, waren interconnected mit den Telecoms. Normalerweise funktioniert PSDN so, dass zum Induzieren eines Calls über unseren Software Client von der IP-Adresse des Anrufers ein Befehl versendet wird: Dieser PC, diese IP-Adresse ruft jetzt dieses Telefon an. Nach vielen Stunden des Programmierens, ich war schon völlig übermüdet, passierte mir ein Versehen. Nicht die IP-Adresse rief jetzt das Telefon an. Sondern ein richtiges Telefon rief das andere Telefon an. Ich drückte auf den Knopf, es läutete das erste Telefon. Als ich abhob, läutete das andere Telefon. Plötzlich hatte ich eine Internet-Verbindung zwischen den beiden Telefonen. Technisch war das theoretisch unmöglich. Meister Zufall hat es möglich gemacht. So wie auch die ganze Evolution auf dem Zufall beruht. Seit dem Beginn des Lebens und dem Entstehen der Artenvielfalt erbringt der Zufall genetische Mutationen. Die bessere Mutation überlebt. Weil sie stärker ist, und ihre Konkurrenten schlägt. Oder weil sie sexyer ist und ihr Erbgut besser verbreitet.
Was um 2 Uhr früh im Keller per Zufall passiert war, nennt sich ein re-invite: Ich hatte mit der Software unsere verbundenen Telecoms ausgetrickst, ihnen vorgetäuscht, dass hier und dort ein Telefon steht. Sie stellten selber die Verbindung über ihre Router her – und für mich entstanden dabei keine Kosten. Und das bei jedem Call, egal wo hin auf der Welt. Ich war vollkommen perplex. Der Fehler lag im Grunde bei den Telecoms, die nicht damit gerechnet hatten, dass das jemand versuchen würde. Ich lief sofort zu meinem Partner Roman, um ihm das zu zeigen, ließ zuerst mein und dann sein Telefon läuten. Auch er erkannte sofort:
Das ist nun die wirkliche Sensation.
Man musste nun als User nicht mehr mühsam, ausstaffiert wie ein Astronaut mit dem Laptop, Kopfhörer und Mikro telefonieren, sondern konnte ganz normal mit Handy oder wireless-Telefon in der Badewanne, auf der Straße in New York City oder in Ulan Bator ganz normal telefonieren. Und das zu einem nie da gewesenen Tarif. Der zweite Vorteil war, dass sich die User auch kein komplexes Programm mehr herunterladen und installieren mussten. Das wir könnten auch bequem über unsere Website laufen lassen. Was wir nun hatten, war so simpel wie genial: Eine Website, auf der man nur seine Nummer und die Nummer seines Ziels eingab, fertig. Dann läutet zuerst das eigene und dann das Ziel-Telefon. Das würde nun wirklich jeder Mensch auf der ganzen Welt verstehen, mit oder ohne große PC-Kenntnisse, Early Adopter oder Absolut Beginner, die Oma in Wien ebenso wie der Fischer auf Capri.
STRATEGIE 2: MÜLLTONNE
Ab diesem Tag ging es nicht mehr um die vielen kleinen Funktionalitäten und Spielereien wie zum Beispiel die Videoconference, die einfach nur besser als Skype waren. Es ging um das einfachste, billigste, bequemste und qualitativ beste Telefonieren im Netz. Genau das hatte auch letztlich unseren Großinvestor Sequoia überzeugt. Das war genau das Tool mit dem wirklich großen Potenzial, das Produkt mit dem absoluten Wow-Effekt – man drückt auf den Knopf, plötzlich läutet das Telefon und man hat eine perfekte Sprachqualität.
Inzwischen hatten wir auch das Patent der web-activated telephony, wie wir sie in den USA nannten weltweit angemeldet, diese Idee musste so schnell wie möglich geschützt werden. Mittlerweile ist dieser Begriff übrigens Standard geworden und alle Telecoms unterstützen diesen Service. Denn, auch wenn wir sie eigentlich ausgetrickst hatten, entstanden bei ihnen keine Mehrkosten. Wenn Sepp Huber von Österreich seinen Freund Wanjiro Mutua in Kenia anruft, ist der lokale Router der Telecom Austria mit dem Telefon von Sepp Huber verbunden. In Kenia ist der lokale Anbieter mit dem Telefon von Wanjiro Mutua verbunden. Dazwischen ist nur das Internet. So hat keiner Kosten, nur die jeweils letzte Meile, das sind zwei Ortsgespräche. Somit ist jeder glücklich: Sepp Huber ist glücklich, weil er nur 2 Ortsgespräche und einen kleinen Jajah-Aufschlag bezahlt, der Jajah glücklich macht. Die Telekoms sind glücklich, weil sie ein Gespräch verrechnen können, dass sie sonst nicht erhalten hätten. Wanjiro Mutua ist glücklich, weil er gar nichts zahlen muss.
Wir haben nun lange überlegt, welche Strategie wir weiter verfolgen sollten: Wir hatten nun den Skype-Killer auf der einen Seite, mit allen Spielereien – und wir hatten die Website mit der einfachsten und günstigsten internationalen Telefonie aller Zeiten. Wir kamen zum Schluss, dass wir fokussieren sollten. Den gesamten Client, den wir entwickelt und released hatten, der mittlerweile 700.000 User hatte, warfen wir quasi in die Mülltonne – gelöscht, weg war er. Wir betrieben nur mehr die Website, auf der gleichen Adresse und sagten unseren Kunden: Runter mit dem Headset, alles was du brauchst sind zwei Nummern, einfach eintippen und anrufen – und sonst gar nichts!
Alles andere, wie die Videotelefonie hatte zwar Randgruppen wie den Techies und Nerds Spaß gemacht, aber für die große Masse war das nicht relevant. Die wollte und will einfach nur billig telefonieren. Von den bisherigen Usern hatte etwa nur 1% die Videofunktion verwendet – in Relation zum enormen Entwicklungsaufwand eine geradezu lächerliche Zahl. Wir hatten eine wichtige Lektion gelernt: Unsere Verliebtheit in die tausenden, verspielten Features brachte im Grunde außer viel Arbeit gar nichts, es bringt am großen Massenmarkt nichts. Je simpler, desto besser. Wir hatten nun Jajah so weit reduziert, dass die ganze Website nur mehr aus 2 Zeilen bestand: Eine für die Nummer von Anrufern wie Sepp Huber, die andere für Zielnummern wie jene von Wanjiro Mutua. Etwas später konnte sogar das Internet weggelassen werden, das Prinzip ist noch heute dasselbe.
LAUNCH 2: AM LIMIT
Den Launch dieser zweiten Generation hatten wir mit einem großen Timer auf der Website vorbereitet, einer Uhr, die rückwärts lief: In 17 Tagen sind wir da mit der neuen Lösung. Ein technisch ambitioniertes Ziel. Das Programmierteam arbeitete Tag und Nacht und war völlig ausgelaugt. Das Timing war beim besten Willen nicht zu schaffen. Heimlich mussten wir den Timer zweimal nachjustieren, zum Glück hat es wohl niemand bemerkt.
Ich selber komme mit sehr wenig Schlaf aus. So durfte ich täglich miterleben, wie meine Partner neben mir zusammenbrachen, am Limit waren, nichts mehr essen konnten, sich aber immer wieder aufrafften und weiterarbeiteten. Mit leichter Verzögerung, völlig am Ende, mit zu Schlitzen verjüngten Augen, bleich und unrasiert schafften wir es schließlich und gingen live.
Am nächsten Tag rief der deutsche Fernsehsender RTL an, sie würden sofort zu uns nach Österreich fliegen und uns portraitieren. Alle hatten immer noch blutrote Augen und sahen ausgezehrt aus wie nach 2 Jahren als Geleerensklave, als die Journalisten und das Kamerateam in unserem Büro standen. Bisher hatten wir nie mit so einer Situation zu tun gehabt, hatten kein Medien-Coaching absolviert und keinerlei Handouts vorbereitet. Wir standen nur völlig ausgebrannt und zerknittert da und beantworteten wie in Trance die Fragebatterien der ausgeschlafenen und gestriegelten Reporter. Schon nach wenigen Stunden kam der Bericht in die RTL-Abendnachrichten. Eine sensationelle Starthilfe für Generation Jajah 2. Und eine erneute Belastungsprobe für unsere Server.
In Dublin stehen die besten und leistungsfähigsten Datencenter in Europa. Warum gerade in Dublin? Aufgrund steuerlicher Begünstigungen sind in Irland annähernd atombombensichere Anlagen entstanden, weltweit die oberste Liga hinsichtlich Sicherheit und Leistungsfähigkeit. Als wir die gigantischen Maschinen sahen, über die Ebay und Yahoo Europa liefen beschlossen wir, uns auch eine zu nehmen. Für die Startphase bekamen wir auch einen erstklassigen Deal. Die Preise würden erst steigen, wenn das Unternehmen wächst. Wir hatten zum Glück schon vor dem Launch 2 zugeschlagen. Doch trotz all dieser Vorkehrungen wurden wir wieder kalt erwischt.
Der Blogger, Robin Good war schon sehr wirkungsvoll, mit 70.000 neuen Kunden an einem Wochenende. Kommt man in eine große Zeitung, kann man das noch übertreffen. Wenn man aber binnen kürzester Zeit in allen Haushalten sein will, muss man ins Fernsehen kommen. Hier erreicht man wirklich die Masse, auch im Internetzeitalter. Schon vor dem zweiten Launch hatten wir mit dem Beamer die aktuellen Teilnehmerzahlen groß im Büro auf die Wand projiziert. Laufend konnten wir den aktuellen Status und alle Anmeldungen live mitverfolgen. Jeder sollte sehen, woran wir arbeiten, jeder Programmierer sollte wissen, was er hier tut und wofür er arbeitet. Als RTL den Bericht brachte, verkürzte sich das Intervall für Neuanmeldungen von mehreren Sekunden auf 0,1 Sekunden, bis schließlich das Monitoring überfordert war und zusammenbrach. Dieser TV-Auftritt kam völlig überraschend, die enorme Kraft des Fernsehens, eines nicht-werblichen redaktionellen Beitrages hatten wir völlig unterschätzt. So kam auch unser neuer Hochleistungsserver in Irland an seine Grenzen. Doch in Dublin war unser Server nur ein Zylinder im Maschinenraum der Titanic. So konnten wir die entscheidenden PS zulegen: Fieberhaft schalteten wir neue Server dazu und konnten der Riesenwelle standhalten. Am Ende des Tages telefonierten 700.000 neue User über unser System.

LAUNCH 3: VOM BERGDORF INS SILICON VALLEY
Zum Glück hatten wir den Launch in Amerika erst in einer weiteren Phase geplant. Europa war sozusagen der Testlaunch, das nächste Ziel im März 2006 war Amerika mit einem Riesenmarkt von 300 Millionen Menschen. Wir informierten die Journalisten über den geplanten Start in Amerika und vereinbarten mit ihnen ein Embargo. Erst ab dem Tag, als Jajah in den USA releast werde, sollte berichtet werden. Diesmal fühlten wir uns gut vorbereitet, hatten auch die Serverkapazität aufgestockt.
Aus technischen Gründen passierte der Launch exakt zu dem Zeitpunkt im Flugzeug saßen. Als wir in den USA landeten, waren wir schon überall das Tagesthema, alle relevanten Medien, CBS, NBC, ABC, Bloomberg, alle großen Newssender hatten über uns live berichtet, allen großen Printmedien wie USA today, Financial Times und den New York Times waren Artikel über uns. Es war das gefundene Fressen für die Presse, eine Geschichte, wie sie die Amerikaner lieben. Zwei Europäer aus dem kleinen Bergland Österreich hatten vom größten Finanzierer, Sequoia, das Geld für den großen Durchbruch in Amerika erhalten.
Wir hatten Büros im Startup-Center von Sequioa angemietet, in einem von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschotteten Bereich, in dem man unter sich und gewohnt war, in aller Ruhe seinen Geschäften nachzugehen. Nicht an diesem Tag. Schon am Morgen wimmelte es von Journalisten aller möglicher Stationen, ihren Assistenten und Kameraleuten. Mit der Ruhe in den Headquarters war es vorbei. Bis ich und Roman im Laufe des Nachmittages im Silicon Valley ankamen, mussten sich die völlig entnervten Sequioa-Leute um die Journalistenhorde kümmern. Mike Moritz, Oberboss im Valley hatte so etwas noch nie gesehen. Sequioa hatte hier die ganz großen Startups nach oben gebracht. PayPal, YouTube, Facebook und Google. Aber keiner hatte so einen Rummel ausgelöst, Moritz sprach nur mehr von den cracy Austrians. Sichtlich geprägt vom chaotischen Ausnahmezustand rief er nur mehr schwach „Hi Jajah!“ wenn er einen unserer Mitarbeiter sah.
Wir hatten schon den ersten Launch in Wien mit Erstaunen verfolgt. Wir waren völlig aus dem Häuschen, als uns RTL in einen 6-stelligen Userbereich katapultierte. Was jetzt passierte, überstieg unser Fassungsvermögen. In wenigen Tagen fuhr Jajah auf 2 Millionen User hoch, wenige Wochen später auf 10 Millionen. Auch diese Grenze markierte noch kein Ende des Aufstieges. Zum Verkaufszeitpunkt hatten weltweit eine halbe Milliarde User.

WATAMBA
Wenn man eine Firma gründet, hat man ein nacktes Gerüst aus Plänen und Zielen. Erst wenn es gelingt, ihr Leben einzuhauchen, erhält das Unternehmen eine Magie, die andere Leute anzieht, Mitarbeiter, Kunden und Partner. Eine Magie, die sich verselbständigt und alle Bereiche durchdringt. Dazu muss das Projekt Charisma haben, alle großen und erfolgreichen Produkte haben dieses Charisma. Diese Herausforderung sahen wir schon als Gründer. Ein solider Businessplan ist natürlich wichtig. Daten und Zahlen sprechen eine klare Sprache. Doch sie können rational widerlegt werden. Das Chrisma schwebt eine Ebene darüber. Man kann es nicht klar fassen. Es kann auch nicht widerlegt oder kopiert werden. Es kann auch nicht bekämpft werden. Es wirkt in unserem Unterbewusstsein – und daraus bezieht es seine Kraft. Doch, wie haucht man einem abstrakten Telefonie-Computerprogramm echtes Leben ein?
Natürlich wurden wir immer wieder gefragt, was Jajah heißt. Im Grunde heißt das gar nichts – das war also nicht unbedingt sexy. Wenn man eine wirklich große Marke launchen will, braucht man eine Story rundherum. Ein zunehmend bedeutendes Thema, das sich Perception Marketing nennt, man kreiert zum Produkt eine eigene Realität.
Wir befinden uns wieder in Wien, zu Beginn unseres Startups, wir hatten uns gerade auf den Namen Jajah geeinigt. Eine leere Worthülse, eine abstrakte Buchstabenkombination – jetzt suchten wir eine gute Story, um diesem Wort Leben einzuhauchen. Es brauchte eine weitere Flasche Wein, um die richtige Idee zu haben: Es wurde Jajah Watamba III geboren – der Erfinder der Telekommunikation. Watamba, australischer Aborigine, war in unserer Vorstellung und daher auch in unserer Geschichte eine tragende Figur der Kommunikationsentwicklung. Sein Ururgroßvater war niemand Geringerer als der Erfinder des Bullroarers, dem Schwirrholz, das es spätestens mit Crocodile Dundee 2 in das öffentliche Bewusstsein geschafft hat. Außerdem war Watamba Universitätslektor, introvertierter Kommunikationsphilosoph und auf seine Art und Weise ein zurückgezogener Guru für viele Menschen, die “freie Kommunikation” forderten. Watamba war ein Enigma.
Nun galt es, Watamba aktiv werden zu lassen. Zunächst platzierten wir Footprints im Internet, ließen ihn zum Beispiel in Foren diskutieren. Er verfasste ein Kommunikationsmanifest und wir bauten ihm dafür eine Webplattform, die Website wurde von australischen Freunden in Sydney registriert. Wir ließen Watamba gemeinsam mit berühmten Industriemenschen auftreten und fabrizierten Interviews. Auf einem Foto, bei dem Bill Gates mit einer Gruppe von Menschen spricht, ist er im Hintergrund zu sehen. Wir kreierten eine Anhängerschaft, die Jajah Watambas Manifest auf Häuserwände sprayte. Und noch heute (Stand 2011) hat Watamba eine immer noch existierende Facebook-Seite.
Damit haben wir neue Wege im Marketing beschritten. Internetfirmen sind naturgemäß junge Unternehmen und weisen keine Geschichte auf. Es gibt ein, zwei oder mehr Gründer, die schon etwas erreicht haben und von ihrem Trackrecord berichten können. Die Marke selbst ist aber ein weißes Blatt Papier. Jajah ist das erste Startup, das eine Geschichte rund um seine Marke aufgebaut, sie emotional aufgeladen hat. Jajah war mit Watamba kein Internettelefondienst, sondern eine Bewegung – mit dem Ziel allen Menschen Zugang zu kostenloser Telefonie zu ermöglichen. So aufgestellt waren wir schnell die Lieblinge der Journalisten, weil man über uns mehr berichten konnte, als über neue Features oder nackte Zahlen.
Wenn uns jemand fragt, ja, es gab Momente, da haben wir tatsächlich geglaubt, er existiert. Wenn auch die Watamba-Geschichte generell ein Schmunzeln produzierte, passierte doch Erstaunliches: Internationale Medien berichteten über ihn, er erhielt Einladungen als Keynote-Speaker für renommierte Symposien und immer wieder Interviewanfragen. Auch wenn man die Geschichte der Telekommunikation recherchiert, wird man unseren Jajah Watamba finden, den Erfinder des Bullroarers.
Die Kernaussage seines Manifests ist, dass die Kommunikation heute beschränkt ist: Wenn man telefonieren will, musst man bezahlen. Wenn jemand Expat ist, irgendwohin ausgewandert, kannst er nicht einfach mit seiner Familie sprechen. Die ganze Kommunikation auf der Welt ist davon abhängig, wie viel Geld jemand hat, sie ist reguliert. Diese Barrieren sollten mit Watambas Manifest niedergebrochen werden:

Leider war Watamba sehr publikumsscheu und bat uns, stellvertretend seine Vision der freien Kommunikation auf dem Markt Wirklichkeit werden zu lassen. Er selbst lebt immer noch sehr zurückgezogen im Outback, nur ganz selten tritt er in Erscheinung…

MASKOTTCHEN UND RED HERRING
Wir erkannten schon im Rahmen der Watamba-Geschichte in Wien die Bedeutung von Emotionen – auch bei völlig rationalen Produkten. Watamba war Mythos und nicht greifbar, so beschlossen wir ein paar Monate später für öffentliche Auftritte in den USA auch ein Jajah-Maskottchen zu kreieren. Ein kleines Männchen mit großem Kopf, großen Augen, kurzen Beinen und Armen, also kindlichen Proportionen und sympathisch lachend. Es sollte einen weiteren menschlichen Urinstinkt aktivieren: Das ist süß, das muss ich beschützen. Zuerst ließen wir die Figur von einem Grafiker zeichnen, so dass man sie z.B. in einem Animationsfilm einsetzen könnte. Dann ließen wir in Europa ein Kostüm schneidern, das einem kleinwüchsigen Menschen passen würde.
Der Transport in die USA erwies sich als überraschend kompliziert. Als wir mit unserem Maskottchen in San Francisco landeten, wurden wir sofort aus der Menge gefischt und mussten erstmals stundenlang damit am Zoll bleiben. Die Zollbeamten konnten nicht glauben, dass hier nicht irgendwelche Drogen versteckt sind. Was sollten wir sonst mit diesem verrückten rosa Zwergenkostüm anfangen? Warum fliegen zwei grundsätzlich normal aussehende Europäer mit einer infantilen, hohlen Stoffpuppe in die USA?
Es brauchte ein Rudel erfolgloser Drogenspürhunde und eine Menge sprachlicher Überzeugungsarbeit, um schließlich die Einreisebewilligung zu erhalten.
Schon beim ersten öffentlichen Auftritt sollte sich zeigen, dass sich dieser skurrile Aufwand gelohnt hat.

Der Red Herring ist der renommierteste, jährliche Preis für die Top Startups der USA. Hunderte hoffnungsvolle Einreicher hoffen, mit dieser Bühne für ihr Unternehmen die mediale Aufmerksamkeit der wichtigsten Sender und Printmedien zu erhalten. Wir hatten zum Glück schon bei unserer Ankunft für Furore gesorgt und erhielten im Rahmen der Preisverleihungsgala eine Bühne in Monterey, im Süden des Silicon Valley, einem bezaubernden Ort. 15 Minuten hatten wir Zeit, unser Projekt vorzustellen. Wie immer, wollten wir alles etwas anders machen. Die anderen Teilnehmer hatten die üblichen Powerpoint-Präsentationen vorbereitet, die mehr oder weniger runtergelesen wurden. Unsere Performance war wie ein interaktives Theater aufgebaut. Statt Powerpoint hatten wir kreative Kurzfilme in asiatischem Design produziert, die zwei junge, hochprofessionelle japanische Künstler gedreht hatten. Wir hatten einen kleinwüchsigen Schauspieler gecastet, der in unserem Maskottchenkostüm steckte – der kam plötzlich auf die Bühne und störte unsere Präsentation. Ein Pizzabäcker lief in die Menge und verteilte Pizza. Damit konnten wir die hunderten Leute, die zuvor gelangweilt eine Folie nach der anderen serviert bekamen, am Herzen erwischen. Die Leute hatten einen Riesenspaß – und alle Journalisten haben über uns geschrieben. Und: Wir gewannen auch den ersten Preis. Wieder einmal durfte ich erleben, was einem Hollywoodstar wohl ständig passiert. Den ganzen Abend verfolgten mich die Journalisten auf Schritt und Tritt, überall bildete sich eine endlos lange Schlange. Zu Beginn macht es Spaß, noch im Taumel der Euphorie des ersten Preises. Doch schwüle Hitze, Blitzlichtgewitter, Stimmengewirr, immer wieder die gleichen Fragen bringen selbst einen Grizzlybären irgendwann ins Wanken. Schließlich konnte ich mit letzter Kraft ins Hotelzimmer flüchten, vollkommen erledigt und nicht mehr imstande, auch nur eine einzige Antwort zu geben. Doch es hatte sich gelohnt. Die Zugriffe auf unsere Website schossen noch in derselben Nacht sprunghaft in nie dagewesene Höhen.
TRITTBRETTFAHRER UND COPYCATS
Nur eine Woche nach unserem Launch in den USA erschien ein auffällig ähnliches Produkt namens Jajah.cn in China. Geschickt hatten junge chinesische Programmierer unser Produkt äußerlich 1 zu 1 kopiert und ins Netz gestellt. Asien war nicht unser Zielmarkt, Kreditkarten waren in weiten Teilen des Kontinents nicht akzeptiert, so hatten wir auch die Domain nicht gesichert. Auch in den USA und Europa schossen die Kopien wie Pilze aus dem Boden. Doch letztlich konnten sie alle aber nur marginale Zahlen erreichen, vielleicht in einem ganzen Monat einen Umsatz, den wir in ein paar Stunden erwirtschafteten. Sie verfügten nicht über unsere ausgereifte Technik, versuchten undendlich mühselig, die einzelnen Telefonate zusammenzuschalten. Damit hatten sie natürlich auch wesentlich höhere Kosten und Aufwände, wenn es überhaupt klappte, viele Kunden erkannten bald, dass hier nur eine hohle Fassade steht und sprangen schnell wieder ab.
In einer ersten Reaktion versuchten wir über unsere Patentanwälte, dem Geschehen Einhalt zu gebieten. Letztlich erwies sich eine Strategie der Kooperation aber als erfolgreicher: Wir boten allen diesen Trittbrettfahrern die Chance, mit eigener Maske und eigenem Namen auf den Markt zu gehen und so ihr eigenes Ding zu machen. Doch im Hintergrund sollten sie alles über unsere Technik abwickeln, so könne jeder profitieren. Dieses Modell erwies sich als absoluter Renner.
Heute wird der Großteil des Telefoniegeschäftes über die Jajah-Technologie abgewickelt. Das erklärt auch den Umstand, dass manche Verbindungen von anderen Anbietern billiger als bei Jahah angeboten werden, obwohl sie unsere Technik nutzen. Wenn jemand heute bei Yahoo Messenger telefoniert, läuft das über uns. AOL, ICQ, alles läuft über Jajah. Alles außer Skype, das zu dieser Zeit den Bedarf im Videosektor befriedigte. Mit unserem Geschäftsprinzip wurde der ganze VoIP-Markt aufgeräumt, letztlich blieben von den hunderten Telefonie-Glücksrittern nur eine handvoll Mitbewerber übrig. Unser Technologievorsprung sicherte uns den weltweiten Markt – wenn auch mittelbar und im Hintergrund.
Selbst mit unseren 33 Millionen Dollar Investitionskapital und richtig fetten Partnern wie Intel, deutsche und kanadische Telekom mussten wir also feststellen, dass der Markt nicht singulär durch Jajah an vorderster Front beliefert werden kann. Das globale Erfolgsrezept war, die zentrale technische Plattform auf Basis der führenden Technologie bereitzustellen und jeden bestehenden und neuen Marktteilnehmer in das System hereinzuholen. Konkurrenzprodukte wie SIP Phone und Gizmo Project wurden beispielsweise ursprünglich auf derselben Ebene betrieben, bis ihnen die Luft ausging, wir sie kauften und integrierten. So gelang es, in kurzer Zeit den gesamten Markt von unten zu assimilieren. Wir hatten in 55 Ländern so genannte Termierungs-Endpunkte, 3 Datenserverzentren weltweit – ein weltumspannendes Telefonie-Netzwerk. Das stellten wir den anderen wir mittels einer Vielzahl an individuellen Verträgen zur Verfügung, von denen letzlich alle, bis hin zum Verbraucher noch heute profitieren. Von kleinen Dating-Plattformen bis zuv Giganten wie Microsoft Messenger, alles läuft über unser System – und überall machen alle Beteiligten gute Geschäfte. Die Abwehrstrategie gegenüber den me-toos war, sie zum Partner zu machen.
Wenn man mit einem neuen Produkt auf den Markt kommt, wie in unserem Fall Web-activated-telephony und die Leute erkennen, dass es ein echt gutes Produkt, eine echt gute Idee ist, kommen innerhalb kürzester Zeit nicht nur Trittbrettfahrer sondern auch professionelle Copycats: Diese Leute kopieren die Idee, egal ob man ein Patent hat oder nicht.
Wir hatten geplant, unsere Technologie in Websites einzubauen, wie zum Beispiel in LinkedIn, trafen uns mit einem der Gründer, investierten eine Menge Arbeit, einen Prototypen zu entwickeln, entwarfen Screens, die zeigen sollten wie es aussieht, wenn ein Kontakt von einem zum anderen Partner hergestellt wird. Parallel dazu verhandelten wir mit den deutschen Samwer-Brüdern, den Gründern des deutschen Auktionshases Alando, bezüglich eines Investments. Die Brüder sind absolute Copycat-Profis. Sie hatten gesehen, dass Ebay in Amerika groß herauskommt und für Deutschland eine eigene Online-Auktionsplattform entwickelt. Wie geplant, gelang es Alando 6 Monate später an Ebay zu verkaufen. Zuletzt ist ihnen das gleiche Modell mit dem Projekt City-Deal gelungen, das jetzt erfolgreich unter Groupon vermarktet wird. Groupon bietet jeden Tag ein neues Freizeitangebot in der jeweiligen Stadt der User mit bis zu 50% Rabatt. Wenn sich eine Mindestanzahl von Interessenten vor Mitternacht für den gleichen Deal anmeldet, bekommen alle den entsprechenden Gutschein zugesandt. Durch diese große Zahl definitiv interessierter Teilnehmer bekommen sie Discounts, die sonst nicht realisierbar wären. Ein weiteres Projekt war StudiVZ, eine Social-Network-Plattform vergleichbar mit Facebook, die speziell für den deutschen Markt entwickelt wurde. Businessmodell ist, zu sehen, was auf dem amerikanischen Markt läuft und das einfach in Deutschland zu launchen. Dann rechnen sie damit, dass der „große Amerikaner“, wenn er nach Europa kommt die Firma kauft, um einen Startvorteil zu haben. Und dabei sind die Samwer-Brüder Vollprofis.
Es war Mitte 2006, wir verhandelten mit ihnen bezüglich eines Investments – wie auch mit den Betreibern von LinkedIn. Beide Gespräche verliefen trotz unseres Engagements eher schleppend und verloren sich irgendwann im Sand. Bald wussten wir, warum: Plötzlich, ein paar Wochen später gab es eine neue Telefonie-Softwarelösung. Zumindest oberflächlich konnte sie das, was auch unsere Software kann. Dahinter steckte der Geschäftsführer von LinkedIn, finanziert von den Samwer-Brüdern. Üblicherweise wird bei jedem Gespräch ein NDA, ein Non-Disclosure-Agreement bzw. ein Geheimhaltungsvertrag vereinbart. Bei unserem ersten Meeting mit Sequioa in Wien wurde das NDA auf echter Vertrauensbasis von Haim Sadger abgelehnt und es entstand eine wunderbare Kooperation. In dem konkreten Fall hatten wir das NDA verabsäumt, vielleicht aus Stress oder auch in Erinnerung an diese positive Erfahrung. Die neue Firma hieß Jackster, begann auch also auch mit den gleichen Anfangsbuchstaben wie Jajah. Jackster versuchte, uns aggressiv auf dem Markt anzugreifen. Es war ihnen auch gelungen, optisch einen Auftritt zu gestalten, der sie wesentlich größer als Jajah erscheinen ließ.
Wie sollten wir nun reagieren? Wie jeder andere in so einer Situation standen wir vor der Frage: Fight it or embrace it. Die erste Möglichkeit wäre gewesen, unser Patent heranzuziehen und sie zu verklagen. Hier hätten wir aber mit dem Problem kämpfen müssen, dass das Verfahren ewig dauert und Jackster inzwischen weiter abräumen würde. Das Positive daran: Es musste eine wirklich interessante Idee sein, sonst hätten es die Brüder nicht kopiert. Die Technik allein hätten die hochgradig versierten Brüder vergleichsweise schnell gefährlich nahe an unseren Level herangebracht. Doch wir hatten mittlerweile einen weiteren Vorsprung erreicht: Weltweit kämpften alle Internetbetrieber mit milliardenschweren Ausfällen. Wir hatten ein Zahlungssystem entwickelt, das diese Ausfälle auf ein Minimun reduzierte. Schließlich willigte auch Jackster ein.
STRATEGIE 3: PLATTFORM DER GIGANTEN
Dieser Punkt markierte den dritten Strategiewechsel in unserer Unternehmensgeschichte: Zuerst waren wir ein besseres Skype. Dann kam die nächste technische Neuerung mit der web-activated telephony. Jetzt wurden wir endgültig eine Telefonie-Plattform für alle Anbieter. An vorderster Front hatten wir noch unser Produkt Jajah.com am Markt, der Beweis unserer Leistungsfähigkeit. Wir waren auch schnell gewachsen, im ersten Jahr auf 2 Millionen User, im 2 Jahr auf 10 Millionen User. Wir wurden auch deshalb so stark, weil es uns gelungen war, uns immer wieder dem Markt durch reinvents anzupassen. Wir hatten immer wieder unsere Tätigkeit auf unsere Stärken fokussiert. Mit dem dritten Strategiewechsel ist es gelungen, annähernd den ganzen Markt aufzusaugen. Immer mehr kleine Anbieter kamen auf dem Markt, wurden entweder an uns angeschlossen, von uns gekauft oder verschwanden bald wieder, es gab eine in solchen Phasen häufig zu beobachtende natürliche Bereinigung. So wuchs unsere Plattform bis hin zu Partnern in Größenordnungen wie Yahoo Messenger – der bisher größte, international beachtete Meilenstein in unserer Geschichte war gelegt. Doch dieser Brocken erwies sich als besonders schwer.
Yahoo verfügte über 96 Millionen User, die wir mit einem Schlag übernahmen. Der ganze Deal wurde wieder besonders breit medial aufgearbeitet und brachte uns einen gewaltigen Imagegewinn: Der Internetgigant Yahoo vertraut zwei Österreichern aus einem kleinen Bergdorf, einem verrücktgewordenen rosa Stoffmaskottchen und einem verschrobenen, unrasierten Einsiedler im australischen Busch. Doch alle Ressentiments der Konzernspitze verpufften nach langen, zähen Verhandlungen wirkungslos. Aus dem dynamischen Speedboot Yahoo war inzwischen ein träger Öltanker geworden. Der Konzern brauchte dringend Auffrischung. Die ganze Abteilung wurde von uns übernommen, Yahoo betrieb nur mehr den Client, Bezahlung, Support, alle dahinterliegenden Funktionen wurden von uns abgewickelt. Das Projekt war zuvor öffentlich ausgeschrieben worden. Doch alle Anbieter hatten sich die Zähne daran ausgebissen, wir waren letztlich die einzigen, die alles komplett anbieten konnten. Die anderen konnten entweder nur die Telefonie, die Bezahlung oder den Support anbieten. Und, ein weiterer Vorteil: Nur wir hatten das Zahlungssystem im Griff und konnten die durch den weltweiten Zahlungsbetrug verursachten chargeback rates auf ein Minimum reduzieren. Doch das ist eine andere Geschichte, dazu später mehr. Es dauerte insgesamt ein Jahr, bis der Yahoo-Deal abgeschlossen wurde.
DER FLUCH DES ROBIN GOOD
Für Skype waren wir als Skype Killer, wie uns Blogger Robin Good im Netz genannt hatte, von Anfang an Konkurrenten. Dieses Image blieb gegenüber Skype an uns haften. Sie widersetzten sich einer Kooperation, es gelang trotz besserer Sprachqualität und niedrigerer Chargebackrates nicht, sie auf unsere Telefonie-Plattform zu bringen. Als Skype einen Börsegang plante, wurde ihrerseits überlegt, Jajah zu übernehmen. Ökonomisch und technisch wäre es sinnvoll gewesen, die Prozesse über unser System laufen zu lassen, das zu diesem Zeitpunkt objektiv belegbar das technisch ausgereifteste war. Doch auch bei Großkonzernen herrschen oftmals irrationale psychologische Motive vor. Das alte Feindbild Skype Killer verhinderte einen Zusammenschluss. Wir servicierten bereits eine halbe Milliarde Kunden auf der ganzen Welt, Intel, Deutsche und Kanadische Telekom, Yahoo und Microsoft, Dating-Sites wie eHarmony, hunderte Telefonie-Groß- und Kleinanbieter wie Gizmo und SIPphone, alle waren bei uns. Nur nicht Skype. Auch daraus konnten wir Erkenntnisse gewinnen. In der Rolle des freundlichen, kooperationswilligen Partnerns waren wir erfolgreicher als in jener des Killers.
Unsere Geschichte hatte uns gelehrt, grundsätzlich mit Freundlichkeit und Offenheit auf den Markt zu gehen. Mit der Ansage, jemanden umbringen zu wollen, verschafft man sich viele weitere Feinde. Auch wenn damals nicht wir sondern Blogger Robin Good den Skype Killer erfunden hatte, blieb er nicht ohne Folgen. Wir hatten auch eine Gegeninitiative gestartet und uns klar als Freund aller Telefonieanbieter positioniert und waren damit äußerst erfolgreich. Denn, wie sieht es aus der Wahrnehmung der Firmen wie zum Beispiel der Deutschen Telekom aus, die bereits auf dem traditionellen, analogen Telefonie-Markt waren: Der Umsatzkuchen Roaming und internationale Telefonie ist groß, damit verdienen diese Firmen das große Geld. Plötzlich kommen Anbieter wie Skype und Jajah und naschen am Kuchen ordentlich mit. Ein paar traditionelle Anbieter haben bald verstanden, dass das Thema Internettelefonie ein harter Tatbestand ist, unverrückbar, dauerhaft und kein kurzlebiger Trend. Man muss sich damit arrangieren. Für den Aufbau eines Konkurrenzsystems fehlten Zeit und Know-how. So haben einige Anbieter zum Beispiel versucht, mit annähernd kriminellen Methoden gewaltsam den Skype-Traffic zu blockieren – ohne Erfolg.
Viel besser haben sich jene entwickelt, die mit Jajah oder Skype Abkommen getroffen haben. Damit haben Sie den Verlust an Kunden rasch kompensiert. Sie haben ein paar traditionelle Telefonkunden an die Internettelefonie verloren. Dafür haben sie aber viele neue, hoffnungsvolle, junge Kunden dazu gewonnen. Letztlich war genau das der Grund, weshalb wir schließlich von einem traditionellen, großen Telekommunikationsunternehmen gekauft wurden.
MIKROKOSMOS, ZEITFENSTER UND KEIMZELLEN
Jedes Startup-Unternehmen steht vor der Frage, wie es sein Geschäft aufbaut. Soll man sofort beginnen, Umsätze zu machen, soll man zuerst groß angelegte Marktstudien beauftragen, um eine genaue Analyse der Kunden zu erhalten – oder soll man lieber etwas ausbauen, was bereits im unmittelbaren Umfeld funktioniert. Was ist der richtige Weg? Aufgrund meiner Erfahrungen denke ich, dass der Plan, auf dem Reißbrett ein Unternehmen in der Größenordnung von Google zu planen, grundlegend falsch ist. Viele Leute kommen immer wieder zu mir und erzählen mir von riesigen Märkten, die sie erobern wollen. Die Chancen dafür verhalten sich aus meiner Sicht etwa wie bei einem Lotto-Sechser, bei 6 aus 45 sind es exakt eins zu 8.145.060. Keiner jener die ich kenne, die heute diese Großunternehmen betreiben hatte ursprünglich den Plan, so groß zu werden. Sie wollte alle nur in ihrem kleinsten Umfeld irgendetwas besser machen. Thats it. Facebook Gründer Zuckerberg wollte ursprünglich nur die Kommunikation innerhalb Harvard verbessern, sein Mikroumfeld, in dem er seine Ausbildung absolvierte. Dasselbe passierte bei Yahoo: David Flo und Jerry Lang waren Stanford-Studenten und wollten 1994, als sich die Inhalte im Internet rasant vermehrten, einen Katalog für sich und ihre Freunde entwickeln, der einen einfachen Überblick ermöglichte. Ich und meine Freunde wollten, dass unsere Frauen günstiger ihre Dauertelefonate führen konnten. Wem es gelingt, für solche Probleme eine gute Lösung zu finden, die im Kleinen funktioniert, dann wird es von selbst wachsen, wenn es gelingt, kontinuierlich eine solide Unternehmensstruktur aufzubauen.
Wichtig ist allerdings auch, dass dieser Mikrokosmos ein repräsentativer Mustermarkt für den Massenmarkt ist. Ein abgeschottetes Bergdorf wird sich für solche persönlichen Studien eher nicht eignen. Natürlich geht es auch darum, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Wir wussten schon zu Beginn, dass die Telefoniekosten durch das Internet irgendwann gegen null gehen werden. Es gibt immer wieder in der Wirtschaftsgeschichte die Phase, in der eine Innovation einen neuen Markt schafft, auf den hunderte Anbieter drängen. Dann kommt es zu einer Konsolidierung, bei der die Starken überbleiben, wie es zum Beispiel bei den Hardwarehändlern, Internetprovidern und auch bei der Internet-Telefonie war.
Jeder, der über die Gründung eines eigenen Unternehmens nachdenkt, sollte auch den Zyklus der Technologie berücksichtigen und sich fragen, wo sie sich gerade befindet – und sein wird, wenn er sein Produkt auf den Markt bringt. Die meisten springen immer erst auf, wenn es schon zu spät ist. Den Fehler hatte ich selbst als Hardwarehändler gemacht und bitter bezahlen müssen. All jene haben keine Chance mehr, sich zu konsolidieren und groß genug zu werden, um irgendwann erfolgreich verkaufen zu können.
Ist man zu früh auf dem Markt, hat man auch ein Problem: Man hat wahrscheinlich nicht genügend Luft, um die Zeit zu überbrücken, bis das Produkt massenmarkttauglich wird. Es bestehen also immer nur ein paar slots, Zeitfenster von einem halben Jahr bis zu einem Jahr, in denen man ein Produkt erfolgreich launchen kann. Doch nicht nur die Zeit, auch der Ort spielt eine entscheidende Rolle.
Es gibt immer neue Märkte, die großes Potenzial in sich tragen. Und es gibt immer Plätze, wo Ideen für die Erfassung dieser Märkte entstehen. Wenn es um das Thema High-tech geht, genügt es im Silicon Valley ins Starbucks zu gehen. Wenn man dort beobachtet, was die Leute machen, weißt man sofort, was trendy ist – und was sonst kaum noch keiner weiß. Foursquare, eine Social-Network Applikation für mobile Devices, mittels der man immer sieht, wo sich gerade jemand befindet startete in New York – außerhalb kannte das niemand. Mittlerweile fährt es bereits in ganz Amerika durch die Decke.
Doch die Technik allein reicht nicht, um einen Erfolg zu prognostizieren. Es muss auch eine soziale Realität dahinterstehen. Als Facebook auf den Markt kam, sprachen viele Leute davon, dass das etwas vollkommen Neues wäre – tatsächlich ist es nur eine digitale Spielart eines uralten, tief verwurzelten menschlichen Antriebes.
Parallel zur Idee muss aber auch ein wirtschaftlich fruchtbarer Boden gefunden werden. Es ist in Zentralafrika sicherlich schwieriger als in Kalifornien. So gab es auch viele andere Videoplattformen in aller Welt, bevor Youtube vom Silicon Valley aus hochstartete. Sie hatten keinen Zugang zum Kapital, nicht genügend Mittel oder Mobilität, um den Standort zu wechseln und ihre Idee wachsen zu lassen.
Vor allem in Europs existieren bei Gründern große Ängste, dass ihre Idee gestohlen wird, sie jemand anderer umsetzt und groß herausbringt. Man getraut sich kaum, darüber zu sprechen und setzt damit seine Idee auch keiner konstruktiven Kritik aus. Doch die weitaus überwiegende Zahl der Menschen sind keine bösen Aliens. Sie sind grundsätzlich gut. Wenn man ein Produkt entwickelt und damit rausgeht, bevor es noch ganz fertig ist, also vielleicht zu 80% und sagt den Menschen, schaut mal, was ich hier gemacht habe, helft mir doch, es ganz fertig zu machen wird einem sicher geholfen werden. diese Menschen werden sich freuen, zu helfen, es mitzugestalten. Auch wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen, Kunden oder User grundsätzlich gut sind. Sie wollen nicht betrügen, sondern sind unter normalen Umständen korrekt und hilfsbereit, vor allem wenn man nicht arrogant an sie herantritt.
REALITÄT VERSUS VIRTUALITÄT
Ich kenne einen Möbelhändler. Der betreibt eine Website und wundert sich, dass sie ihm kein neues Geschäft bringt. Wenn man seine Website anschaut, sieht man nichts anderes als einen Katalog, der ein paar bewegte Bilder hat. Auch wenn man die Leute auf der Straße fragt, was eine Website ist, dann beschreiben sie die meisten als einen bewegten Katalog. Legt man so eine Website auf das wirkliche Leben um, schaut das folgendermaßen aus: Man hat ein Verkaufslokal – dann kommt der Kunde. Es ist aber niemand da, niemand spricht ihn an, er steht allein in dem großen Geschäft. Dort drinnen liegt dann irdendwo ein dicker, schwerer Katalog. Doch er wird ihn sich kaum ansehen. Er wird auch nichts kaufen. Er wird wieder gehen und nicht wiederkommen.
Was eine gute Website können muss, ist das echte Leben zu digitalisieren. Man kommt rein, findet auch Gleichgesinnte, die dort einkaufen, wird freundlich empfangen, gefragt, welche Wünsche man hat und genau dorthin geführt, wo der Wunsch erfüllt wird. Man kriegt Infos, wenn man das möchte – oder wird in Ruhe gelassen, wenn man einfach nur herumschauen will. Das heißt, eine gute Website ist anders formuliert auch ein soziales Medium.
Wer also nur im engen Kontext über Social Media spricht übersieht, dass das Internet als Ganzes sozial ist und immer sozialer wird. Soziale Bindungen gehören zu den stärksten menschlichen Bedürfnissen – erst jetzt werden sie immer mehr auch im Internet abgebildet. Natürlich, es wird nie ganz so wie im wirklichen Leben sein. Facebook bildet zum Beispiel das Stadium ab, als man früher als Schüler Fotos herzeigte und sich kleine Briefchen in der Klasse zusteckte. Noch ist Facebook aber nicht die große Party, wo man in der Gruppe Spaß hat, Socializing und Lobbying betrieben wird, auch wenn es dazu Modellversuche gibt. Technologisch wurde das noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Hinter scheinbar einfachen Lösungen steckt auch immer eine Menge an Entwicklungsarbeit. Beim so genannten A/B-Testing nimmt man seine Startseite her und testet verschiedene Varianten, wie man auf seine Kunden zugeht. Man möchte zum Beispiel, dass sich jemand über einen Knopf registriert. Über dem Knopf steht eine Headline. Wir hatten wie berichtet herausgefunden, dass der Satz 10 Millionen User können nicht irren am besten funktioniert. Hier schließt sich der Kreis zur Geschichte des Möbelhändlers: Das Wissen, mit so vielen anderen hier zu sein, verschafft ein behagliches Gefühl und sagt einem, dass das Gebotene einfach gut sein muss. Ein letztlich einfacher Effekt, im amerikanischen Flow genannt, der immer wieder erfolgreich eingesetzt wird: Eine Welle, von der alle mitgetragen werden, die sie alle eint und in einen großen gemeinsamen Gemütszustand bringt. Jeder Ladenbetreiber kennt das, wenn es einfach läuft und eine Menge an Leuten wie verrückt einkauft.
Ein weiterer Aspekt ist die Frage nach dem grundlegenden Nutzen. Es sind immer wieder dieselben menschlichen Nutzendimensionen, die ein Geschäftsmodell erfüllt. Entweder, man hat einen monetären Vorteil – kann Geld verdienen, gewinnen oder Geld sparen. Oder es erfüllt ein Bedürfnis im Rahmen des Fortpflanzungstriebes. Man fühlt sich sexy oder es verschafft einen besseren Zugang zum anderen Geschlecht, man erhält Öffentlichkeit. Oder man hat einfach Spaß. Oder es wird einem der Alltag erleichtert, das Bedürfnis nach Bequemlichkeit erfüllt.
Das Thema Bequemlichkeit ist auch Basis für die Gestaltung einer Website. Man muss den ease of use beachten: Schaffe so wenig Barrieren wie möglich. Wenn einer in einem Laden erst Treppen steigen muss und links und rechts hundert Türen öffnen muss, bis er etwas Interessantes findet, wird er nichts kaufen. Der Waterfall, wo man seine Kunden verliert, muss genau analysiert werden. Mittels Analysetools kann man genau feststellen, wo die Kunden verloren gehen. Sehr professionell hat das Amazon gelöst. Man muss nicht alles durchsuchen, sondern fragt mal einfach irgendwie an. Dann kriegt man ein paar passende Vorschläge und sucht sich den einen oder mehrere aus – also möglicherweise mehr, als man zuvor beabsichtigt hatte. Je mehr man sich dem Abschluss des Geschäfts nähert, desto weniger andere Optionen gibt es. Bis nur mehr ein einziger Knopf vor einem liegt: Den Kauf abschließen. Man wird also wie von einem virtuellen Verkaufsberater an der Hand genommen und ans Ziel geführt. Wenn man dann aufgrund seines Profils passende weitere Buchtipps erhält, entspricht auch das der Funktion des Verkäufers. Amazon ist es fast perfekt gelungen, echte Verkaufssituationen virtuell abzubilden. Der letzte Rest, das kleine Stück soziale Interaktion allerdings konnte auch bisher noch nicht abgebildet werden. Das ist eine Frage der Technologie und eine Frage der Zeit. Früher hatte man Newsletter abonniert und dann E-Mails bekommen, heute läuft das über den Twitter Channel. Früher gab es Sub-Websites mit Polls, Umfragen und Chats, heute läuft alles zentral über Facebook. Aber trotz allem ist vieles noch Steinzeit. Manches ist bereits technisch möglich, wird aber noch nicht akzeptiert.
Natürlich gibt es auch Grenzen bei der Digitalisierung der Realität. Wissenschaftlich belegt ist die Existenz der Spiegelneuronen im menschlichen Gehirn. Im persönlichen Kontakt werden sie über die Wahrnehmung der Person aktiviert und lassen uns fühlen, wie es unserem Gegenüber geht, wir erfahren ein Gefühl der Empathie und zeigen es unsererseits durch körpersprachliche Impulse. Diese Prozesse werden nie im Internet abgebildet werden können.
Auch über die Videotelefonie wird das nie zur Gänze funktionieren, wenn es auch viele – wir eingeschlossen – versucht haben. Intel hat eine halbe Milliarde Forschungsgelder für dieses Thema versenkt. Man wollte Vorreiter im Bereich der Videotelefonie werden. Jeder kannte Raumschiff Enterprise und dachte, dass man sich in Zukunft beim Telefonieren sehen sollte. Das erste Problem war die Technik: Aufgrund des enorm großen Datenvolumens steckte in den Projekten eine gewaltige Entwicklungsarbeit. Das zweite Problem wurde erst erkannt, als schon viel Geld verbrannt war: Die User wollen das eigentlich gar nicht. Sie wollen gar nicht ihre ganze Identität immer preisgeben. Ich möchte auch nicht früh morgens von einem CNN-Reporter angerufen werden und dann halbnackt, mit verschwollenem Gesicht, zerzaustem Haar und unrasiert in die Kamera schauen müssen. Ich geh auch erst auf die Straße, wenn ich angezogen bin und mir danach ist. Wenn ich den Videokanal öffne, bin ich aber quasi auf der Straße. Das ist auch der Grund, weshalb man gern chattet und SMS schreibt anstatt miteinander zu reden. Wir alle brauchen Möglichkeiten, unsere Öffentlichkeit nach Bedarf einzuschränken. Einerseits räumlich, aber auch zeitlich: Beim SMS kann ich in Ruhe nachdenken, was ich schreibe, damit es sicher besonders cool, witzig oder treffend ist. Auch derEmpfänger kann warten, bis er sich das in Ruhe zu Gemüte führen kann. Diese Schutzfunktion der Kommunikationsmedien senkt auch die Hemmschwelle, für viele Menschen ein großes, angstbesetztes Thema. Man getraut sich zueinander Sachen zu sagen, die im persönlichen Umgang unterdrückt werden. Eine Chance auch für schüchterne Menschen, Kontakte zu knüpfen. Mit Erfolg. Mittlerweile wird jede vierte Beziehung übers Internet eingefädelt. Früher gab es Jahrmärkte, Tischtelefone, Singlepartys, Zeitungsinserate. Jetzt läuft fast alles online. Natürlich gibt es dabei ebenso Schattenseiten: Mittlerweile sind Facebook und Co auch für 20% der Scheidungen verantwortlich.
Ein anderer menschlicher Treiber ist Fame: Man möchte sich präsentieren, exhibitionieren und einen Hauch Berühmtheit erlangen. Die Basis für den Erfolg von Youtube, wo sich jeder seinen eigenen Fernsehkanal schaffen konnte. Doch Ruhm ist auch anstrengend – man denke an die Red-Herring-Geschichte und den ausgelösten Rummel. So gibt es mittlerweile schon wieder einen Gegentrend. Kürzlich wollte man noch so viel Facebook-Freunde wie möglich haben, zuerst waren es mindestens 100, dann schon 500 oder 1.000 bis hin zu 1.500. Aber wer hat schon wirklich 1.500 Freunde? Vielleicht sind es 5 wirklich gute Freunde und 15 bis 20, mit denen man sich ab und zu gern trifft, die eher schon zur Peripherie gehören. Jedenfalls, bei 1.500 wird es schon zu viel an News und Feeds, man wird überschüttet mit Informationen, von denen die meisten eher irrelevant sind: Sitze gerade in der Badewanne, füttere den Hamster, dein Kommentar des Kommentars gefällt mir. Nicht-Reaktion wird oft als Ignoranz gedeutet. Viele Leute machen sich inzwischen schon Gedanken, wie sie diese zunehmende Last wieder verringern können. Der Trend geht von Facebook zu einer Art Familybook, wo nur mehr die Familie oder wirklich gute Freunde sich treffen. Da kann man wirklich sozial sein. Was im Moment auf dem Gebiet läuft ist ein Hype, der in dieser Form vorbeigeht – allerdings in einer gemäßigten Form zweifellos bestehen bleibt.
Es wird immer eine Koexistenz zwischen Realität und der virtuellem Raum geben. Beide Welten werden unterschiedliche Funktionen für grundsätzlich gleiche Bedürfnisse einnehmen.
Während die Geschichte der Videotelefonie entgegen aller Erwartungen bisher auch für Skype nicht den großen Durchbruch brachte, beginnt sich die Situation heute durch die explosionsartige Verbreitung der neuen Endgeräte wie Smartphone, Ipad und Internet-verbundenes Fernsehen bzw. vernetzte Blue-Ray-Player wieder zugunsten der Videotelefonie zu verändern. So werden beispielsweise zu Beginn des Jahres 2011 wieder 40% aller Skype-Gespräche per Video durchgeführt. Im Business konnte sich die Videotelefonie jedoch bisher kaum durchsetzen. Regelmäßig erbrachten Wirtschaftskrisen, bei denen teure Flugreisen für Firmenbesuche eingespart werden mussten neue Hoffnungen für die vergleichsweise billige Videotelefonie. Doch immer wieder mussten die Firmen die Erfahrung machen, dass ihre neu angeschaffte Videoausrüstung wenig oder gar nicht genutzt wurde.
Was noch 2009 als Technologie abgeschrieben wurde, die sich nicht durchsetzen wird, sieht Skype seit 2011 als die nächste Front der Entwicklung der Telefonie. Allgemein ist die Online-Telekommunikation international längst Nummer eins bei internationalen Ferngesprächen. Von den 520 Millionen internationalen täglichen Gesprächsminuten, laut Skype-CEO Tony Bates ein Marktanteil bei Ferngesprächen von 25%, finden 40% aller Gesprächsminuten mit Video statt. Maßgeblich war die Einführung des iPhone App für Videocalls: Innerhalb von 24 Stunden wurde Skype Video vier Millionen Mal heruntergeladen. Zu Sylvester 2010 / 2011 wurde laut Bates damit bereits eine Million Minuten an Videogesprächen geführt. So ist die Videotelefonie laut Bates heute wieder einer der wichtigsten Bereiche für die weitere Entwicklung von Skype. Das ist auch der Beweggrund für die Übernahme des bisherigen Konkurrenten Qik. Dieser bietet eine Reihe von Technologien, die Skype vor allem im Videobereich gelegen kommen wie Skype-Apps für andere Smartphones und Technologie, um Videocalls aufzuzeichnen, zu streamen und wiederholen zu können.
IDEEN, CHANCEN UND MODELLE
Was bei erfolgreichen Internet-Startups gelingt ist, dass Veränderungen in der realen Welt erkannt werden, die Bedürfnisse nach sich ziehen, welche dann in digitalisierter Form abgebildet werden. Nehmen wir das Beispiel Kommunikation. Grundsätzlich hat jeder Mensch ein Recht auf Kommunikation, wie es ja auch im Manifest von Jajah Watamba nachzulesen ist. Was passiert heute: Jeder hat ein Mobiltelefon, meistens mit Organizerfunktionen. Es wird also die tägliche Kommunikation mit den Freunden, um in Kontakt zu bleiben, stark vereinfacht, man musst sich nicht mehr physisch mit ihnen treffen. Auch Prozesse, wie ich geh jetzt auf einen Kaffee werden mittlerweile schon automatisiert abgebildet, wie bei Foursquare. Die Freunde sehen das, die Frage ist ob sie dann auch hinkommen. Diese Technologie erspart jedenfalls sogar das Telefonieren. Unterm Strich werden wir also in der Realwelt eher einsamer, je mehr unserer echten sozialen Interaktion digitalisiert wird. Das ist ein sehr starker Trend. Doch diese Vereinsamung wird neue Businessmodelle hervorbringen, die es uns vielleicht erleichtern, unser reales Zusammensein zu organisieren.
Aber nicht jedes Businessmodell ist international massentauglich. Trotz aller Globalisierungstendenzen sind die Märkte weltweit noch immer sehr heterogen. Japan funktioniert anders als China oder Mitteleuropa. Auch die Veränderung von technologischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen kann gewaltige Folgen haben. In Indien wurde beispielsweise 2009 die Schulpflicht eingeführt. Wenn einer auf der Suche nach einem riesigen Geschäft ist, kann er sich Gedanken mache, was das für Zukunft bedeutet.
Mitte des 20 Jahrhunderts war es vergleichsweise einfach, ein Unternehmen zu gründen. Die Weltkriege hatten so viel zerstört, dass im Anschluss annähernd alle Märkte Nachfragemärkte waren. Was immer man produziert hat, wenn es halbwegs tauglich war, konnte man es verkaufen. Mit nur ein klein wenig geschäftlichem Verständnis war es möglich, eine prosperierende Firma aufzubauen. Wenn man irgendwie einen Kühlschrank zusammenbasteln konnte, war man dabei. Die Märkte waren sehr regional und extrem überschaubar. Heute haben wir das genaue Gegenteil. Es gibt alles fast überall im Überfluss, die Märkte sind sehr global geworden und es gibt einen starken Überhang auf Angebotsseite. Es gibt aber immer wieder neue Mustermärkte, die man erkennen kann und analysieren muss. Am besten funktioniert das, wenn man diese Erkenntnisse am Business-Modell in kleinem Rahmen erprobt aber damit wirklich real lebt. Nur rein abstrakt die Daten, Fakten und Zahlen zu analysieren, ist zu wenig, um das richtige Gefühl für diesen Markt zu entwickeln.
Ein interessanter Aspekt eines Businessmodells ist auch der Umsatz pro User. Die Unterschiede unter den globalen Massenanbietern dabei sind erstaunlich:
Umsatz pro Kunde
Nur, wenn man diesen Aspekt rechtzeitig erkennt und das Businessmodell entsprechend adaptiert, sprich die Kosten pro User anpasst, wird es gelingen nachhaltig erfolgreich zu wirtschaften. Ein schönes Beispiel dafür kommt aus dem Bereich Pricing, der Frage nach der Bewertung einer Leistung oder eines Produktes. Die beste Lösung für ein Unternehmen ist meistens Subscription, die Teilnahme mit monatlichen Gebühren, wie bei einer Fitnesstudio-Mitgliedschaft. Dann hat man sehr viele Leute, die für eine Leistung zahlen, obwohl viele sie gar nicht verwenden. Damit ist das Subscription Modell the holy grale of Business, man kann auf dieser Basis wirklich gute Geschäfte machen. Auf beiden Seiten, denn auch für den Kunden, der die Leistung wirklich in Anspruch nimmt ist es günstig, weil alle anderen mitzahlen: Sie finanzieren z.B. die Mieten, Kosten für das Stammpersonal und die Entwicklungskosten und verursachen keine direkten leistungsbezogenen Kosten.
Für die Festlegung des richtigen Tarifes gibt es für jedes Produkt in jeder Größenordnung und auf jedem Markt Schwellen, die von den Kunden gerade noch akzeptiert werden. Diese sind je Region sehr verschieden. Vor allem in entwickelten Märkten funktioniert das gut, jenen die dann keine aktiven User sind wird mit der Mitgliedschaft eine Art Zugehörigkeit verkauft – man könnte ja jederzeit, wenn man nur wollte. Ein Beispiel ist der amerikanische Videodownload-Dienstleister Netflix. Die Abonnenten können hier in einem bestimmten Zeitraum je 3 Files downloaden. Millionen sind dabei, es kostet fast nichts, aber nur wenige nutzen den Dienst auch regelmäßig.
Wenn Menschen also wirklich einen Nutzen sehen, sind sie auch im Internet bereit, dafür zu zahlen – selbst wenn es viele Mitbewerber gibt, die alles kostenlos anbieten. Das hat auch bei iTunes funktioniert, obwohl es viele Gratis-Börsen gab. 99 Cent ist man schnell bereit, zu zahlen, wenn einem der Titel gefällt.
Es gibt auch interessante Konzepte, ein Produkt ohne fixen Preis anzubieten: Es wird den Kunden überlassen, zu zahlen, was es ihnen wert ist. Das Modell wurde von einem deutschen CD-Händler versuchsweise eingesetzt. Man konnte also die CDs auch gratis erhalten. Das Ergebnis hat auch den Händler überrascht: Die große Masse der Menschen ist ehrlich, die überwiegende Mehrheit bezahlt freiwillig. So macht er heute 30% mehr Umsatz als vorher, als er noch zu marktüblichen Preisen angeboten hatte. Es ist also grundsätzlich nicht so, dass man Angst haben muss, von jedem über den Tisch gezogen zu werden. So gibt es mittlerweile auch Restaurants, die mit diesem Modell arbeiten. Man kann essen trinken was man will, am Ende kommt der Kellner mit der Schatulle und man gibt ihm, was es einem wert war. Eines ist hier allerdings anzumerken: Solche Modelle funktionieren vor allem für die breite Masse an Konsumenten innerhalb des westlichen Kulturkreises und bei ähnlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Wohlstandes. In ärmeren Ländern wie beispielweise Ägypten oder China würde man sofort zu Tode gezockt werden.
INNOVATOREN UND PATENT TROLLS
Wie gesagt, die Guten überwiegen im Geschäftsleben. Die Bösen sind in der Minderzahl, können aber trotzdem verdammt lästig sein. Wenn man in Amerika eine Firma gründet und auf den Markt geht, kann man sich gleich ein paar hundert Dollar beiseite legen. Nur die wenigsten Startups wissen darüber bescheid. Es gibt so genannte Patent Trolls, abgeleitet von den bösen Zwergen aus der Sagenwelt, die einen gnadenlos verfolgen werden. Der Trick ist immer derselbe: Diese Firmen halten eine Menge Patente, ohne sie zu verwenden. Wer als junges Startup etwas zu viel Wirbel macht und die Trolls aufmerksam werden, rufen sie an und behaupten, man würde ihr Patent verletzen. Dann lässt man seinen Patentanwalt die Sache überprüfen und kommt zur Einsicht, dass das gegnerische Patent vielleicht ähnlich ist, aber keine Bedrohung darstellt. Das ist den Patent Trolls aber ziemlich egal. Entweder, sie verklagen einen und man zahlt, auch wenn man im Recht ist 250.000 Dollar an Gerichtsgebühren. Oder man schenkt ihnen gleich 100.000 Dollar, dann sind sie zufrieden. Dabei handelt es sich in den USA um ein florierendes Business Modell, von dem wir viermal getroffen wurden. Diese patent trolls schauen sich auch genau an, wie viel Umsatz man erwirtschaftet und wie viel herauszuholen ist. In Summe mussten wir 500.000 Dollar an solche Giftzwerge abliefern.
Gegenüber den echten Konkurrenten ist es mit den Patenten wie mit Nuklearwaffen im kalten Krieg zwischen Russland und den USA. Man hat ein Patent und auch die gegnerische Firma hat eines. Jeder hat eine Waffe, aber keiner schießt auf den anderen. Man einigt sich beispielsweise über Cross-Licensing, der wechselseitigen Erlaubnis zur Nutzung der Lizenz des Konkurrenten. Eskalierte Patentkriege im großen Stil gibt es kaum.
Auch die strategische Bedrohung durch Mitbewerber lässt sich als Nummer eins am Markt im Griff halten. Als first mover hat man einen großen Startvorteil. Etwa 80% der Interessenten greifen auf das erste Produkt am Markt zu. Wenn man die Idee kopiert, läuft man immer hinterher. Wir hatten zu Beginn unseres Markteintrittes einen Mitbewerber names Rebtel. Jedes Feature, dass wir launchten, wurde in kurzer Zeit von ihm ein paar Wochen später ebenso gelauncht. Als wir bereits die Strategie geändert hatten, und uns voll darauf konzentrierten, die Telefonieplattform zu entwickeln, waren für uns diese Features bereits kommerziell bedeutungslos. Um den lästigen Konkurrenten loszuwerden, gingen wir mit Pressemeldungen über neue Features raus, die aber gar nicht programmiert wurden. Rebtel warf die Programmiermaschine an und versuchte uns einzuholen. Als sie sich bereits in eine völlig andere Richtung verlaufen hatten, starteten wir mit der Telefonie-Plattform im großen Stil durch. Dann war es bereits für Rebtel zu spät, auf diesen Markt aufzuspringen.
Es sind immer die echten Innovationen, die den Markt antreiben. Wie Studien von Morgan Stanley sehr schön zeigen, sind die Top Brands, die in jüngster Zeit ganz nach oben kommen, immer wieder die ganz jungen und nicht die bestehenden Marken, die sich irgendwann langsam nach oben arbeiten. Die echten Innovationen kommen immer von den jungen Newcomern. Die Großen sind viel zu träge geworden, um echt zu innovieren. Eine Ausnahme stellt vielleicht Apple dar, ein seit Jahrzehnten immer wieder innovatives Unternehmen, das immer wieder absolut sensationelle Produkte entwickelt. Nur hier liegt kein vollkommen autarker Organismus vor, der den Keim der Innovation grundsätzlich in sich trägt, sondern ein sehr stark von der Person Steven Jobs abhängiges und von ihm vorangetriebenes System. Jobs ist ein begnadeter Innovator und kompromissloser Perfektionist. Als ihm ein Prototyp des MacBook Air zum ersten mal intern präsentiert wurde, nahm er es prüfend in die Hand und sagte spontan es sei um 5mm zu dick. Seine Entwickler blockierten den Vorschlag, rechneten ihm in allen Details vor, das würde den Preis ja 300 Dollar pro Stück in die Höhe treiben – worauf Jobs nüchtern feststellte, egal, sie sollten es einfach 5mm dünner machen. Erst so war es auf dem Markt eine echte Sensation. Diese gnadenlose Professionalität spiegelt sich in all seinen Produkten.
Ein echt innovatives Unternehmen sollte sich aber von selber weiterentwickeln, getragen von allen Mitarbeitern. Dazu gibt es viele verschiedene Ansätze. Der wirkungsvollste und nachhaltigste ist sicher, eine innovative Kultur im Unternehmen aufzubauen. Es können auch konkrete Maßnahmen wie das aus Japan stammende Kaizen oder KVP, kontinuierliche Verbesserungsprozesse implementiert werden. Man kann externe Coaches einbinden, die das Unternehmen analysieren und mit den Mitarbeitern Ansätze für neue Ideen erarbeiten. Bei Jajah wurden zusätzliche innovation days eingeführt, an denen im Büro jeder an eigenen Dingen basteln, experimentieren konnte. So konnte der Innovationszyklus immer aufrechterhalten werden.
KAPITAL UND FINANZIERUNG
Auf den ersten Blick mag man glauben, ein Internet-Projekt ist eine Website mit ein paar Funktionen. Doch ein großes Internet-Projekt ist eine Firma mit allen Abteilungen. Von der Qualitätssicherung bis zu Controlling, Marketing oder Sales. Dieser Aspekt wird oft stark unterschätzt. Eine der Hauptfunktionen ist die Markenpolitik und der damit verbundene Aufwand, der betrieben werden muss, um die Marke bekannt zu machen. Die Präsenz im Internet allein ist in der Regel dabei zu wenig, man muss sich je nach Produkt auch traditioneller Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Print und sogar Plakat und Außenwerbung bedienen.

Nur wenn die Marke schnell bekannt wird, kannst sie auch schnell wachsen und einem den Vorsprung gegenüber der Konkurrenz sichern. Auch der Zeitraum für dieses Wachstum wird oft unterschätzt. Google brauchte insgesamt 10 Jahre, um zur heutigen Größe heranzuwachsen.
Ich kenne bis heute fast niemanden, der ein erfolgreiches, großes Internetprojekt gelauncht hat und in die schwarzen Zahlen geführt hat, ohne ein minimales Investitionsvolumen von 10 bis 15 Millionen Dollar. Die einzige Firma, die das im großen Stil geschafft hat, war Cisco Systems. Sie bekamen damals, noch als kleines Bastlerteam von Sequoia 2 Millionen Dollar und es ist gelungen, mit dieser vergleichsweise geringen Summe bis zum Börsegang durchzuhalten. Google beispielsweise benötigte in Summe etwa 24 Millionen Dollar, Facebook bis 2010 etwa 900 Millionen Dollar.
Schon ganz von Beginn an muss klar sein, womit man langfristig sein Geld verdient. Um nicht in die totale Abhängigkeit der Fonds zu geraten, muss es in jeder Phase auch einen Notfallplan geben. Man weiß im Vorhinein nie, ob es beispielweise wieder eine Bankenkrise gibt und dann plötzlich die geplante Finanzierung weg ist. Anderseits genügt es auch nicht, sich nur über die 100.000 User zu finanzieren und dabei schnell genug zu wachsen. Diese Finanzierung kann aber ausreichen, stürmische Zeiten zu überstehen, wenn man weiß, wie man in so einer Phase den Aufwand verringert.
Jedenfalls sollte zu Beginn schon die Überlegung stehen, mit welchem Gegenwind dabei zu rechnen ist. Denn jedes Projekt wird zwangsläufig auch mit anderen Projekten in Konfrontation geraten. Es gilt also, sich so geschickt zu positionieren, dass diese Reibungspunkte schon von Beginn an möglichst verringert werden.
BURN RATE, VC UND BUSINESSPLAN
Ich kann mich auch an einen Entrepreneur erinnern, der parallel zu uns seine Firma aufbauen wollte. Er verbrauchte pro Monat etwa 200.000 Dollar, ohne einen Cent zu verdienen. Das war die Burn Rate, jener Betrag, den man jeden Monat draufzahlen muss, wenn man noch keinen Umsatz hat. Er erzählte mir, dass er noch genau für einen Monat Geld hätte. Wenn er es nicht schaffen würde, wäre es vielleicht aus. Alles dahin, nichts als Schulden am Hals. Mich überkamen wieder die Erinnerungen an meinen Crash im Hardwaregeschäft. An seiner Stelle wäre ich schon ein Nervenbündel – aber er war ganz entspannt. Er saß da, erzählte mir dass sie es schon noch irgendwie schaffen würden. Dieser Kollege war Chad Hurley. Seine Firma erhielt eine weitere Finanzierung und wurde sechs Monate später unter dem Namen Youtube um 1,3 Milliarden Dollar an Google verkauft. Hurley ist heute noch CEO von Youtube.
Hier zeigen sich auch die unterschiedlichen Mentalitäten zwischen Amerikanern und den meisten Europäern. Für die Amerikaner ist es kein großes Problem, zu scheitern. Sie fangen einfach wieder mit dem nächsten Projekt an. Ein Österreicher zum Beispiel hätte in der gleichen Situation die Panik, in Konkurs gehen zu müssen und für immer gebrandmarkt zu sein.
Was kann man aus dem Fall Chad Hurley lernen? Das Risiko, unterkapitalisiert zu sein, ist immer sehr hoch. Die meisten Projekte scheitern nicht, weil die Idee nicht gut war. Die meisten Projekte scheitern, weil sie unterkapitalisiert sind. Nach der Finanzmarktkrise, vor allem nach der Lehman-Pleite gab es ein Jahr lang so gut wie gar kein Geld. Jedes Unternehmen in der Startphase, das von der nächsten Finanzierungsrunde abhängig war, musste damals zusperren. Das heißt, man kann auch einfach Pech haben. Zusätzlich ist das Timing auch extrem wichtig. Man sollte aber auch einsehen, dass man mit 1 bis 2 Millionen Dollar ein großes Internetprojekt in der Regel nicht hochfahren kann. Auch wir bekamen bereits in der ersten Phase 3 Millionen von Sequoia, anschließend weitere 5 Millionen. Der Vorteil war, dass wir einen sehr prominenten Erstinvestor hatten, so rannten uns andere Investoren für die Folgefinanzierung die Tür ein. Mit den 8 Millionen gelang es uns, so stark zu werden, dass eine weitere Finanzierungsrunde mit 20 Millionen folgte. Mit etwa 30 Millionen schafften wir die Gewinnschwelle, steckten dann noch weitere 3 Millionen hinein, in Summe brauchten wir also 33 Millionen Dollar. Diesen Betrag hatten wir aber auch tatsächlich benötigt. Mit weniger Geld wäre das Projekt in dieser Qualität kaum möglich gewesen.
Die Einschätzung des erforderlichen Kapitals ist ein schwieriges Thema. Üblich bei großen Internetprojekten ist eine so genannte A-Runde mit 2 bis 3 Millionen Dollar. An diesem Punkt muss man aber schon Erfolge vorweisen können. Es ist auch Praxis, bei der A-Runde 40% des Unternehmens zu veräußern. Eine B-Runde liegt dann schon bei guten 30 – 40 Millionen Dollar, eine C- Runde liegt bei 100 bis 150 Millionen Dollar.
Woher soll nun so viel Geld kommen? Zu einer Bank kann man mit einem Internetprojekt nicht gehen, hier wird man kein Geld kriegen. Einerseits nicht in dieser Dimension, andererseits kann die Bank das Geschäftsmodell auch nicht beurteilen, das ist nicht ihr Business. Es ist das Business von Venture-Capital-Fonds, solche Firmen erfolgreich zu machen. Was man als Firmengründer schon zu Beginn tun muss, ist die besten und am besten geeigneten Fonds zu recherchieren. Man sieht sich das Portfolio des Fonds genau an, schaut welche Kunden und andere Beteiligungen er hat. Es sollte auf jeden Fall Synergien im Portfolio geben. Wenn man zum Beispiel eine Software für die Komprimierung von Daten schreibt, sollten im Portfolio keine Konkurrenzunternehmen sitzen – am besten sollten es potenzielle Kunden oder Partner für Produktion oder Vertrieb sein. Ist der Fonds gefunden, sucht man sich den richtigen betreuenden Partner und kontaktiert ihn mit der Idee. Das muss natürlich schon sehr früh erfolgen, Monate bevor der tatsächliche Finanzbedarf gegeben ist.
Ist die Idee gut und auch gut aufbereitet, ist ein Prototyp geschaffen und mit Familie, Freunden oder Business Angels erfolgreich erprobt, nehmen sich die VC-Manager wenn überhaupt nur etwa eine halbe Stunde bis Stunde Zeit, um sich mit der Idee auseinander zu setzen. In dieser Phase sollte man nicht aggressiv vorgehen, sondern es eher als Coaching-Gespräch verstehen. Diese Leute tun nichts anderes, als sich ständig Geschäftsmodelle anzusehen und wissen sehr gut, was auf dem Markt funktioniert und was nicht. Die Inputs, die man bei so einem Gespräch erhält, sind extrem wertvoll für das eigene Unternehmen.
Klassische Businesspläne über 1 bis 3 Jahre mit Umsatzprognosen, wie sie in Europa gängig sind, gibt es bei den VC-Fonds nicht. Wenn man nicht einmal das Produkt fertig entwickelt hat, kann man auch kaum wissen, wie das Unternehmen in 3 Jahren aussieht. Wir selbst konnten zu Begin auch nicht abschätzen, dass wir vom Videotelefonieanbierter zur Telefonieplattform mutieren würden.
Bei VC-Fonds üblich sind kompakte 90-Tagespläne. Das ist ein überschaubarer Zeitraum, in dem man etwas bewegen kann und der sich auch für die Unternehmensführung von Startups gut eignet. Hier lassen sich zuverlässige Meilensteine definieren, klarstellen, was man konkret im Marketing, in der Produktentwicklung oder im Vertrieb schaffen möchte. Inklusive aller operativer Tätigkeiten wie Terminen bei Partnern und Beratern, also detailliert aufgeschlüsselt in Form von konkreten Tasks. Nach 3 Monaten setzt man sich dann wieder zusammen, vergleicht die Vorgaben mit dem tatsächlich Geleisteten. Darüber steht ein grobes strategisches Modell von einem Jahr mit den geschätzten Kosten – aber nicht den Umsätzen. Dieses 90-Tagesmodell lässt sich dann, wenn man weiter wächst auch in ein Bonus-Modell für die Mitarbeiter umwandeln. Jeder Mitarbeiter definiert, was er in den nächsten 90 Tagen schaffen kann. Erreicht er seine Ziele, erhält er einen Bonus, z.B. 80% der erreichten Leistung mit 80% des Bonus. Darunter gibt es nichts. Man kann aber auch überperformen: Bei 120% gibt es satte 120% des vereinbarten Bonus.
Dieses Modell hat sich sehr bewährt. In vielen Unternehmen werden diese Modelle nur im Vertrieb eingesetzt, weil sie dort besonders leicht zu berechnen sind. Vor allem aber in einer Entwicklungsphase eines Unternehmens lassen sich ebenso gute Anreizsysteme einführen. Voraussetzung ist immer, dass die Leistung messbar ist. Das gilt auch für untere Mitarbeiterebenen, wenn es beispielsweise um die Zahl von Anfragen geht. Wächst das Unternehmen weiter, werden von den Bereichsleitern auf Basis ihrer verhandelten Pläne auf zusätzlicher Ebene weitere Pläne für die Mitarbeiter vereinbart und überprüft. Um den Überblick zu behalten, empfiehlt es sich, einen Tag pro Woche mit den Bereichsleitern den Verlauf und die Lage zu besprechen. Der Rest der Zeit kann voll in die Entwicklung des Projektes und später in die Verkaufsaktivitäten investiert werden, das Management wird damit entlastet, der Aufwand auf ein Mindestmaß reduziert. Vor allem die Verkaufsphase ist für die Führungsspitze extrem zeitintensiv. Zu diesem Zeitpunkt muss das operative Geschäft schon wie von selbst laufen.
FINANZIERUNGSRUNDEN
Wie soll man sich auf so ein Gespräch vorbereiten? Hier gibt es keine allgemeingültige Regel. Manche VC-Manager haben Checklists, die sie durchgehen. Andere schauen sich sehr genau deine Person an, wie teuer zum Beispiel deine Schuhe sind. Hat man ausgelatschte Gummitreter um 40 Dollar, ist das sicher nicht gut. Aber auch die 800-Dollar rahmengenähten Maßschuhe kommen nicht unbedingt gut an. Die Erwartung geht in Richtung Entrepreneur – ein Mensch, der hungrig ist, etwas zu bewegen und auf der anderen Seite auch das Know-how, zum Beispiel in technischer Hinsicht mitbringt. Auch ein gewisses Selbstbewusstsein gehört dazu, rhetorische Fähigkeiten, die Fähigkeit zu präsentieren, zu überzeugen, seine Idee zu verteidigen. Es muss gelingen, seine Idee in 2 klaren Sätzen auf den Punkt zu bringen. Man muss ja auch allen anderen gegenüber, wie den Kunden oder Mitarbeitern entsprechend auftreten zu können. Klassische, introvertierte Programmierer oder extreme Freaks sind hier nicht mehr gefragt. Sie können eine ideale Ergänzung im Team sein, für diesen Job braucht man aber einen starken Frontmann, eine echte Unternehmerpersönlichkeit.
Nach dem ersten Gespräch werden sofort Referenzchecks durchgeführt, die VC-Manager rufen beispielsweise sofort Geschäftspartner des Startups an, fragen wie die Zusammenarbeit funktioniert hat. Aus Auftreten, der Idee und vielen kleinen Eindrücken und Informationen entsteht so ein Profil der Unternehmensgründer.
Gelingt es, schon in der Startphase den richtigen VC-Fonds zu finden, kann man von Anfang an den Kontakt aufbauen und eine solide Vertrauensbasis herstellen. Man kann sich ständig wechselseitig austauschen, immer wieder Feedback einholen, die Richtung abstimmen. Zumeist wird es sehr geschätzt, wenn die VC-Manager eingebunden werden. So entsteht auch eine emotionale Bindung des VCs zum Projekt, bis es so weit ist und die A-Runde vor der Tür steht.
Hier will sich jeder VC-Manager absichern und zieht einen Kollegen bei. Man hat es also immer mit 2 Partnern zu tun. Einer allein wird nicht entscheiden, nun muss man sich auf 2 Partner konzentrieren. Es nützt auch nichts, mit irgendwelchen weiteren Mitarbeitern des Fonds Zeit zu verschwenden. Jeder VC hat am Montag üblicherweise sein Partnermeeting, bei dem die neuen Deals auf den Tisch gelegt werden. Wenn beide sagen ok, das machen wir, wird es auch finanziert. Bei Jajah war es etwas komplizierter, da wir erstmals ein Projekt aus Übersee waren – es mussten alle Partner im VC-Fonds zustimmen.
Diese Partner sind auch genau hinsichtlich ihrer Intention einzuschätzen: Ist er schon wahnsinnig erfolgsverwöhnt, oder ist er noch hungrig. Besser ist ein Partner, der hungrig ist, der auch einmal einen echt großen Fisch an Land ziehen möchte. Hier ist zu sehen, dass die Partner innerhalb des Fonds sich gegenseitig konkurrieren. Man kann diesen Prozess mit einem strategischen Feldzug vergleichen. Keiner der VC-Manager will sich einen guten Deal entgehen lassen. So wie man einen Plan ausarbeitet, wie man zu den Kunden kommen möchte braucht man auch einen Plan, wie man zu seinem Geld kommt. Es muss der Partner gefunden werden, der in der Endphase durch eine Anheizung der internen Konkurrenz den Wert des Deals nach oben treibt.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Schaffung einer ausgewogenen Machtbalance. Wir waren in der ersten Phase völlig von Sequoia dominiert. Das hat seine guten Seiten. Ein fachlich hochspezifischer, erfolgreicher Fonds wie Sequoia will grundsätzlich dominieren, er will das Unternehmen positiv und auf Basis seiner Erfahrungen mitsteuern. Er ist vor allem in der ersten Phase extrem aktiv, wenn das Unternehmen geformt wird und dann erst wieder in der Phase, wenn das Unternehmen verkauft wird. Dazwischen sind wenig Inputs zu erwarten. Nur einen Fonds zu haben, hat aber auch Nachteile. Es können Interessenskonflikte entstehen, auch bei Jajah war das zu Beginn der Fall. Das Prinzip ist, dass der Fonds zum Beispiel über 200 Millionen Dollar verfügt, die von dem Partner betreut werden. Wenn er die Chance hat, die Firma mit einem Betrag zu verkaufen, mit dem der Fonds refinanziert ist, wird er nicht das Risiko eingehen, diese Firma noch weiter wachsen zu lassen – auch wenn sie das Potenzial dazu hätte und noch viel mehr Geld aus dem Deal herauszuholen wäre. Wenn diese VCs also verkaufen wollen, dann muss man auch verkaufen. Ob man will oder nicht. In unserem Fall ist das so passiert. Wir wollten noch weitere Mitbewerber kaufen und das Unternehmen auf Milliardenniveau bringen. Diese Strategie erschien Sequoia aber als zu risikoreich.
Hat man einen anderen VC-Partner mit im Boot, der bereits drei Exits mit Milliarden erwirtschaftet hat, wird er sicher sagen, OK, wir machen die Firma noch größer. Google beispielsweise hatte sich die besten zwei Fonds ausgesucht: Sequoia und Kleiner Perkins. Hier konnte eine gute Form von Balance erreicht werden. In der Regel ist das eine bessere Konstellation. Damit kann man eine A-Runde mit einer Finanzierung über ein ganzes Jahr zustande bringen und muss sich dann eine ganze Weile keine Gedanken über das Geld machen. Wenn man ständig genötigt ist, herumzulaufen und Geldgeber suchen muss, kann man sich nicht auf das Geschäft konzentrieren.
Wenn man bei der A- und B-Runde einen guten Job gemacht hat, kann man sich bei der C-Runde seine Partner schon aussuchen. Die C-Runde muss auf jeden Fall rechtzeitig geplant werden, nicht erst dann, wenn dir das Geld ausgeht und man schon unter Druck steht – das spüren die VC-Fonds und sie nutzen die geschwächte Verhandlungsposition. Wir sind im Zuge der C-Runde nach Barcelona geflogen, zu einer VC-Konferenz und haben einfach im Stundentakt alle Interessenten eingeladen, bei allen präsentiert. Dann konnten wir uns die Fonds-Partner nach Wunsch bzw. strategischem Mehrwert aussuchen. Im konkreten Fall waren das Telekommunikationsunternehmen, aber auch Chiphersteller Intel – mit dem Hintergedanken, dass die Telefonie in Zukunft auf den Chip kommen würde. Das ist allerdings bisher noch nicht passiert. Bei dieser Konferenz gelang es uns, 20 Millionen Dollar zu 140 Millionen Bewertung zu lukrieren.
In dieser Phase ist es wichtig, dass das Projekt nicht bereits ausgelaugt ist. Es muss immer noch heiß wirken. Das heißt, man darf auch nicht mit zuvielen Partnern sprechen. Keinesfalls sollte man verzweifelt auftreten. Wie bei jeder Partnersuche geht dann sicher gar nichts.
KREDITE, AKTIEN, CONTROLLING
In den USA gibt es interessante Mechanismen wie double equity: Angenommen, läßt ein Venture Capitalist 3 Millionen Dollar in der A-Runde locker, kann man sofort zu spezialisierten double equity Fonds gehen und um weitere 2 bis 3 Millionen verhandeln. Dabei handelt es sich um ein Darlehen, dass nur mit Firmenanteilen besichert ist. Somit hat man mit einem Schlag bereits 6 Millionen. Außerdem gibt es so genannte asset credits, wenn man viel Hardware oder Maschinen benötigt. Wichtig ist, von einem ersten prominenten Investor den Stempel zu erhalten. Damit ist man dann auch für weitere Investoren kreditwürdig.
Wie bewertet man nun die Firmenanteile, um die in allen Phasen verhandelt wird? Hier gibt es im angelsächsischen Raum sehr weit verbreitete Mechanismen. Die Bewertung selbst ist dabei zweitrangig. Es geht um Klauseln wie die liquidation preference. Ohne diese wird kein Geldgeber etwas herausrücken. Eine faire liquidation preference ist 1x, one x. Man verkauft z.B. seine Firma um 100 Millionen Dollar. Zuvor sind 10 Millionen vom Fonds eingezahlt worden. Bei 1x gehen die 10 Millionen an den Fonds zurück und die 90 Millionen Gewinn werden nach Anteilen aufgeteilt. Aber Vorsicht: Es gibt auch ganz hinterhältige VC-Fonds. Zu Zeiten der Wirtschaftskrise habe ich liquidation preferences bis zu 6x gesehen, mit Zinsen von 10%, ganz kleingedruckt am Ende des Vertrages. Bei dem gleichen Beispiel heißt das, dass für die 10 Millionen 60 Millionen plus 10% Zinsen per anno zurückgezahlt werden müssen. Als Unternehmer muss man also sehr aufpassen, um in keine dieser Fallen zu tappen. Bei solchen Konditionen lohnt es sich nicht mehr, überhaupt weiter zu arbeiten.
Bei Aktien gibt es zwei verschiedene Kategorien. Als Unternehmer erhält man nur common stock, also ganz normale Aktien. Die Investoren erhalten immer Vorzugsaktien, also preferred stock mit speziellen Stimmrechten, liquidation preference, Mehrheitsregeln, mit denen man blockiert werden kann, wenn man z.B. ein anderes Business starten möchte.
Eine wichtige Unterscheidung ist jene in pre- und post-money. Auch hier werden die meist jungen und unerfahrenen Unternehmer gerne an der Nase herumgeführt. Pre bedeutet den Wert der Firma zu Beginn, post also den Wert danach. Wenn beispielsweise 3 Millionen durch den Fonds eingezahlt werden, ist es ein großer Unterschied, ob die Bewertung 4 Millionen pre- oder 4 Millionen post-money ist. 4 Millionen pre-money wäre ein fairer Deal, das würde bedeuten 4 plus 3 Millionen, also in Summe 7 Millionen Unternehmenswert. 3 Millionen gehören dem VC-Fonds, also ca. 43%. Wären die 4 Millionen post-money, wären davon nur 1 Million pre-money und dem Fonds gehören 75% deiner Firma.
Für die Verträge sollte man sich also neben verhandlungssicherem Englisch zuvor die Fachsprache aneignen und immer einen Rechtsanwalt beiziehen. Das müssen nicht die teuersten sein, es gibt auch gute kleine, leistbare Kanzleien. Üblicherweise wird der Vertrag aus der A-Runde in der B- und C-Runde fortgeführt und nicht mehr im großen Rahmen verändert. Es gibt allerdings prominente Fälle des Scheiterns: zum Beispiel Eduardo Saverin, Mitbegründer von Facebook. Er unterschrieb einen Vertrag und feierte ausgelassen die ganze Nacht. Erst am nächsten Tag bemerkte er verkatert, dass er statt 30% des Unternehmens nur mehr im Besitz von 0,8% war. Sein Vertrauen sollte man also ausschließlich einem guten Anwalt entgegenbringen, der auch das Kleingedruckte liest.
Ein Hauptkostenfaktor für jedes Startup ist die Zeit. Wir hatten exzellente Techniker und Programmierer, die letztlich alles immer in einem Zeitraum von 3 Wochen vor oder nach dem Planungsziel fertig stellen konnten. Das entspricht einem Rahmen, mit dem man in dieser Branche rechnen kann und den man vorher kalkulieren muss. So kann man die Kosten einigermaßen im Griff behalten. Allerdings gelingt das nicht immer. Auch uns sind Fehler passiert, Kostenfallen lauern überall. Wir hatten in einer Phase Gratistelefonate angeboten, um aktionistisch unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Tatsächlich sprach sich das rasch herum. In wenigen Minuten hatten die Leute bereits eine Viertelmillion Dollar vertelefoniert, zum Glück konnten wir das einigermaßen rechtzeitig stoppen. Wenn man hier nicht aufpasst, kann man sich ruinieren. Die ständige Kontrolle aller Kostenstellen ist Chefsache. Auch wenn man eine hohe Finanzierungszusage erhält und denkt, dass man jetzt einen sicheren Polster hat, darf man trotzdem in keinem Moment den Überblick verlieren.
DIE 4 HAUPTFEHLER
Der größte Fehler ist, wie bereits diskutiert, dass man unterkapitalisiert ist. Gelingt die Kapitalisierung nicht, muss man sich am besten schon zu Beginn zwei Fragen stellen: Entweder ist die Idee schlecht, oder man ist kein Unternehmertyp und schafft es deswegen nicht, das Geld aufzustellen. Liegt dieser Fall vor, wird man auch später keinen Erfolg haben. Dann ist es besser, sich einen Job zu suchen.
Der zweite Fehler ist, dass man Perfektionist ist und viel zu lange entwickelt. Wer ewig und drei Tage herumwerkt und nie fertig wird, dem wird auch mit Sicherheit das Geld ausgehen. Dieses Manko kann man ausgleichen, indem man sich einen Partner sucht, mit dem man sich ergänzt, der ausgeprägte Managementqualitäten hat und immer den Überbrlick behält, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden kann.
Der dritte Fehler ist, zu bald mit einer Idee auf den Markt gehen zu wollen. Die Idee mag gut sein, aber die Zeitspanne zu überbrücken, bis der Markt reif für die Idee ist, hält keiner durch, höchstens ein Großkonzern, der den Markt mit viel Geld aufbereiten kann. Man muss als Startup etwas produzieren, was die Leute heute schon brauchen und nicht erst in 10 Jahren. Es gibt viele Visionäre, aber die wenigsten werden reich. Die Ideen am besten auf einem repräsentativen, kleine Markt testen.
Der vierte Fehler ist die Überkomplexität der Produkte. Sie sind aus Sicht der Konsumenten nicht simpel genug. Simplicity ist ein wichtiger Faktor, um am Markt angenommen zu werden. Dabei ist Simplicity eine Frage des ganzheitlichen Produktdesigns, von der äußeren Erscheinung über das User Interface bis hin zur Funktionalität. Das Erscheinungsbild und die einfache Bedienung sind dabei am wichtigsten. Also lieber weniger Funktionen, diese aber ordentlich gestalten. Auch hier hilft das Feedback vom Testmarkt, von Experten und Partnern.
LEADERSHIP, SPIRIT, STYLE
Bevor man zu dem Investorgespräch geht ist es lohnend, sich einmal im Freundeskreis – z.B. von einem befreundeten Banker so richtig toasten zu lassen. Mit jedem Gespräch wird man weiterlernen. Dabei spielt natürlich immer das persönliche Auftreten eine entscheidende Rolle. Der Investor stellt sich die grundlegende Frage, ob der junge Gründer imstande ist, ein Unternehmen in der Größenordnung von Millionen Dollars und einer 3-stelligen Mitarbeiterzahl aufzubauen. Dazu bedarf es einer starken Unternehmerpersönlichkeit, absolut zuverlässig, selbstbewusst, nicht arrogant, sympathisch aber nicht zu nett. Dieses Persönlichkeitsbild muss man sich bewusst machen und konsequent nach außen kommunizieren. Natürlich musst es letztlich auch authentisch sein, in den tatsächlichen Anlagen und Fähigkeiten dieser Person begründet sein. Viel zu viele Leute glauben, dass sie Unternehmer werden können, sich diese Fähigkeiten zu Eigen machen können. Aber nicht jeder kann das lernen. Die wichtigsten Eigenschaften muss man selber mitbringen, die Schwächen kann man kompensieren, indem man die richtigen Partner mit ins Boot nimmt. Das ist besser, als an seinen Schwächen ewig herumzudoktern, man wird ohnehin nie richtig gut darin werden. Die Praxis hat gezeigt, dass Teams aus 3 Entrepreneurs sich am besten eignen, etwas großes Zustande zu bringen. Sie sollten sich komplementär gut ergänzen, einer ist zum Beispiel der Techniker, der andere der kaufmännische Leiter und einer bringt die Ideen. Google mit nur 2 Leuten oder Facebook, das allein von Zuckerberg aufgebaut wurde, sind die Ausnahmeerscheinung. Arbeitet man an seiner eigenen Zukunftsstory, sollte man sich nicht nur diese singulären Ausnahmeerscheinungen ansehen, sondern etwas stärker in die Breite gehen und sich auch die unzähligen erfolgreichen Startups ansehen, die in der Größenordnung um die 50 Millionen Dollar verkauft wurden. Auch das ist eine großartige Leistung.
Ich habe noch nie einen Unternehmer getroffen, der nicht erfolgreich wurde, wenn er das wirklich wollte. Es sind meist mehrere Anläufe dafür erforderlich, aber wenn einer eine grundlegende Intelligenz und die unternehmerische Persönlichkeit mitbringt, sich das wirtschaftliche Rüstzeug erworben hat, weiß wie man finanziert und eine gute Idee hat, woher auch immer, wird er das schaffen – wenn auch Erfolg haben will. Wenn man seine ganze Kraft in das Projekt investiert, wird es früher oder später klappen. Jene, die es nicht schaffen, bringen oft gewisse Bereitschaften nicht mit sich. Sie sind vielleicht zu bequem oder nicht bereit, für das Projekt zu übersiedeln, alles andere liegen und stehen zu lassen. Wenn hingegen jede Körperzelle auf das Ziel ausgerichtet ist und man es unbedingt will, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das richtige Korn auf fruchtbaren Boden fällt und zu wachsen beginnt.
AUSMISTEN
Wie sehr man als Startup auch darauf schaut, Kosten zu sparen und nicht übermäßig zu investieren, mit der Zeit schleicht sich immer wieder eine gewisse Nachlässigkeit ein. Zumindest einmal im Jahr ist es daher unbedingt notwendig, sich gemeinsam hinzusetzen und alles ordentlich auszumisten. Reisekosten, Kreditkartenabrechnungen und alle möglichen Kleinrechnungen summieren sich, schnell sind 20.000 Dollar für Dinge ausgegeben, die man eigentlich gar nicht braucht. Nicht nur seitens der Mitarbeiter, auch als Unternehmer übersieht man im Alltag oft, dass eine Ausgabe nicht wirklich erforderlich ist. Natürlich bezieht sich das auch auf die Arbeitskräfte. Ich kenne sehr radikale CEOs, die davon ausgehen, dass einmal im Jahr ein Viertel der Mitarbeiter abgebaut werden muss – das Geschäft würde ohne sie genau so gut weiterlaufen. Wenn auch mit Konflikten und Ressentiments behaftet, ist es ein wichtiger Aspekt, vor allem wenn keine Überschaubarkeit mehr gegeben ist: Es gibt in jeder größeren Organisation Mitarbeiter, die sich zwar sehr gut in Szene setzen, aber dabei wenig Output erzeugen. Wenn so ein Showman weg ist, ändert sich exakt überhaupt nichts. Dann gibt es die Unsichtbaren, die kaum auffallen, wenn sie morgens ins Büro kommen, den ganzen Tag keinen Laut von sich geben, aber Großes leisten und unverzichtbar sind. Es ist die Kunst des Unternehmers, diese Unterscheidung treffen zu können, dafür muss man ein Auge entwickeln. Wichtig ist es auch, keine Scheu davor zu haben, Mitarbeiter auszutauschen. Solche Mitarbeiter werden selber nicht wirklich glücklich in ihrer Funktion sein und sind wohl wanders besser aufgehoben. Zu Beginn von Jajah hatten wir sehr viele Leute eingestellt und auch wieder ausgewechselt, bis das Team perfekt war. Als Faustregel galt, dass jemand, der nach 6 Monaten Einarbeitung nicht dort ist, wo er hin soll, auch nicht mehr hinkommt. Der Umstand, dass natürlich nicht jeder Mitarbeiter auch seine Leistung bringt, gehört übrigens ebenso budgetiert. Diese über 6 Monate verbratenen Kosten gehören also auch eingeschätzt und kalkuliert. Niemand kann nur gute Mitarbeiter finden. Aber fast alle vergessen, diesen Umstand finanziell zu berücksichtigen. Nicht zu vergessen, verzögert das auch den Launch, jeder Monat später bedeutet einen Monat Mehrkosten und einen Verlust am erwarteten Umsatz.
Wie kann ich nun als Vorgesetzter erfahren, was wirklich in meinem Betrieb läuft? Natürlich gibt es Zielvorgaben, die betriebswirtschaftliche Theorie liefert eine ganze Mende an Steuerungstools. Diese Zahlen sind aber nicht für alle Bereiche einsetzbar und nicht immer für kürzere Messintervalle geeignet. Interessanterweise wissen die Mitarbeiter untereinander meist sehr genau bescheid, wer sich wirklich einsetzt und gute Arbeit leistet – und wer nur die große Klappe hat und im Grunde kaum etwas weiterbringt. Was uns selbst sehr geholfen hat, ein gutes Bild über unser Team zu erhalten, war der private Kontakt über die Rahmen der Arbeit hinaus. Wir gingen mit den Teams abends auf ein paar Drinks. In diesem lockeren, informellen Rahmen erzählten unsere Leute dann alles. Wir hatten zum Beispiel einen Mochito-Tag, bei dem alle sehr gern dabei waren. Am nächsten Tag wussten wir wieder, was in der Firma los ist. Natürlich funktioniert das nur bis zu einer bestimmten Unternehmensgröße, dann kann man es nur mehr mit den Vorständen und Führungskräften der einzelnen Bereiche machen. Die 90-Tagespläne sind neben der Aktivierungswirkung eine gutes Korrektiv zu all diesen informellen Informationen, die natürlich auch verzerrt und von persönlichen Ressentiments getragen sein können. Es muss also zwischen diesen Quellen und auch zwischen den Kräften im Unternehmen eine ausgewogene Balance hergestellt werden.
Ich habe ein Partnerunternehmen kennen gelernt, wo die Zielvorgaben noch konsequenter gelebt wurden. Jeder Mitarbeiter konnte seine eigenen, ambitionierten Ziele vorgeben und einen Teil seines Gehaltes wie bei einer Wette darauf setzen. Das ist für beide Seiten mit einem Risiko verbunden. Die Konsequenz daraus ist aber, dass der Mitarbeiter zielstrebig eine hohe Performance erbringt, eine unternehmerische Einstellung zum Job entwickelt, Eigenverantwortung übernimmt und auch Spaß dabei hat.
EXPERTEN UND NETZWERKE
Wir begannen sofort nach dem Vertragsabschluss mit Sequoia, einen Expertenbeirat zusammenzustellen. Grundsätzlich sind das immer hochkarätige Industrie-Spezialisten, die für das eigene Projekt über entscheidendes Know-how verfügen. Die Amerikaner nennen das Advisory Board – das ist natürlich keine offizielle, langfristige Funktion wie bei einem Geschäftsführer oder Organ, sondern eine rein beratende. Allerdings wird ein Vertrag abgeschlossen, nicht gegen Bezahlung, sondern gegen Anteile. Typischerweise schaut es so aus, dass der Experte sich bereit erklärt, mit Infos, Kontakten oder Ideen zu helfen – dafür erhält er Stock Options des Unternehmens, im Schnitt 0,25%. je nach Hochkarätigkeit bis zu 0,5%, ist er weniger prominent liegt die Untergrenze bei etwa 0,1 %.
Wir hatten beispielsweise Guy Kawasaki im Advisory Board, ehemaliger Apple Evangelist und Autor zahlreicher Bücher – im nächsten Abschnitt folgt ein kurzes Portrait von Guy. Er verfügte über eine gewaltige Fangemeinde und einen starken Blog, in dem er unser Projekt vorstellte. Wie bei diesem Beispiel holten wir uns aus jedem Bereich Spezialisten, z.B. aus den Bereichen Recht und Finanzen. Renommierte Leute, auch wenn sie nicht in aller Welt bekannt sind. In jeder Branche gibt es diese Leute, oft sind sie nicht mehr aktiv. Jene die noch voll im Geschäft sind, finden zumeist keine Zeit für so eine Funktion. Es kommt darauf an, wen man haben will. Wenn man Larry Ellison will, wird es schwierig, der ist als aktiver CEO von Oracle schwer abkömmlich. Es gibt aber Industrieveteranen, die gerne ihr Wissen und ihre Erfahrung weitergeben, wie bspw. Tim Berners-Lee, der Erfinder des Internet oder eBay-Gründer Pierre Omidyar, der aus dem operativen Geschäft völlig ausgestiegen ist.
Ein Punkt ist allerdings zu beachten: Man sollte sich vorher überlegen, in welche Liga man will. Ist es die Liga, in der Microsoft spielt – auch Bill Gates ist in einigen Advisory Boards – bekommt auch das junge Startup den Microsoft-Stempel. Das kann entweder sehr behilflich sein – oder ein großes Hindernis darstellen. Möchte das Startup z.B. an Google verkaufen, hat es in diesem Fall keine Chance, Google ist Erzfeind von Microsoft. Man muss sich also schon im Vorfeld überlegen, welchen künftige Verkaufsszenarien oder Partnerschaften man anstreben will und welchen strategischen Impact man mit seinen Experten erreicht.
Wie kommt man zu diesen Leuten? Ein großer Schritt ist es, einen starken Venture Capital Fonds zu haben, der öffnet dann die weiteren Türen und ist natürlich interessiert, die Performance mit allen Mitteln zu steigern. Wir erhielten von Sequoia innerhalb von nur 2 Tagen ein Intro, damit konnten wir schon mit einigen wichtigen Leuten im Café plaudern. Es liegt dann an den Entrepreneurs, diese Experten von ihrer Idee zu begeistern und zur weiteren Beratung im Beirat anzuregen. Einige Leute aquirierten wir auch kalt, wir schrieben sie über LinkedIn an, stellten uns als Startup-Unternehmer vor und schafften es auch so, Termine zu erhalten.
Networking ist also die allerwichtigste Aktivität außerhalb des Unternehmens. Es ist natürlich einfacher, entscheidende Leute zu finden, wenn man in Silicon Valley ist. Dort findet man diese IT-Granden praktisch vor der Haustür – man kennt einander und weiß, wie man an die richtigen Leute herankommt. In ganz Österreich bspw. wird man vielleicht insgesamt nur 3 solche Personen finden.
Das Networking sollte systematisch betrieben werden. Im Silicon Valley sind es die Events, die man konsequent besuchen muss. Es werden hier nur zum Zwecke des Networkings, ganz casual, Veranstaltungen organisiert wie etwa der Churchill Club oder der Stirr Mixer: Das sind wöchentliche Events in einer Bar, bei dem sich Startups treffen und ihre Projekte vorstellen. Anschließend wird untereinander diskutiert, es werden verschiedene Informationen ausgetauscht. Wen man zum Beispiel einen CTO, also einen Technikchef sucht, hat man gute Chancen, dort den richtigen zu finden. Keineswegs kann man so eine Position mit irgendeinem unerfahrenen, rein fachlich qualifiziertem Techniker besetzen. Die Leute bei diesen Events sind unglaublich offen und aufgeschlossen. Während man in Europa eher verhalten herumsitzt und jeder versucht, sein eigenes Süppchen zu kochen, versucht dort wirklich jeder jedem aktiv zu helfen, man vermittelt sich, gibt offen sein Wissen und seine Erfahrung weiter.

Manche dieser Events werden von den VCs gesponsert, hier hat man die Möglichkeit, auch auf Kapitalsuche zu gehen. Andere sind von den Lawfirms, also den Rechtsanwälten organisiert, hier kann man sich in juristischen Fragen weiterhelfen lassen und den richtigen Partner suchen. Diese Events muss man besuchen, am besten mit einem Stapel Visitenkarten, anschließend sollte man sich sofort über LinkedIn vernetzen, am besten mit einer persönlichen Notiz, sonst kann es sein, dass der andere nicht mehr weiß wer man ist: Wir haben uns heute beim Stirr-Mixer getroffen, finde deine Idee sehr gut und möchte das weiter vorantreiben.
Es hat sich bewährt, eine Liste mit diesen Leuten anzulegen, ein Terminmanagement durchzuführen, um keinen in Vergessenheit geraten zu lassen, immer wieder ein E-Mail zu schreiben und so gezielt ein effektives Netzwerk aufzubauen.
Zusätzlich gibt es auch industriespezifische Events – die sind aber so groß, dass man dort als Startup kaum eine Chance hat, an die richtigen Leute heranzukommen. Wenn man beispielsweise ein Consumer Electronics Produkt entwickelt und zur Consumer Electronics in Las Vegas fährt, geht man unter alle den Großen unter. Also besser die kleinen Veranstaltungen mit 40 bis 50 Leuten besuchen, dort findet man die richtigen Experten und wird auch angehört, diese Events sind zum Netzwerken perfekt.
Auch in Europa gibt es einzelne interessante Events – zum Beispiel die Digital Life Design (DLD)-Konferenz des Burda-Medienkonzerns in München, die allerdings bereits eine kritische Größe erreicht hat oder die Le Web in Paris. Bei diesen Großevents kann man bestehende Kontakte gut auffrischen, zum Knüpfen neuer Kontakte sind sie eher nicht geeignet.
Beginnen sollte man mit dem Netzwerken gleich von Anfang an, nicht erst wenn das Produkt ausgereift ist. Man erhält sehr viel produktiven Input und muss sich keine Sorgen machen, dass hier gleich die Idee geklaut wird. Diese Angst muss man ablegen, die Inputs sind wesentliche wertvoller und wiegen schwerer als das geringe Risiko, über eines dieser Events kopiert zu werden. Diese Leute haben alle selber bereits Ideen, die sie weiterentwickeln wollen. Dieser offene, vorbehaltslose Austausch funktioniert vor allem in den USA, in Europa neigt man wie bereits erwähnt dazu, sich zu verstecken und möglichst nichts nach außen dringen zu lassen – und übersieht dabei oft essenzielle Dinge. Allergings funktioniert das nicht in allen Kulturkreisen. In Asien wäre so eine offene Kommunikation wirklich gefährlich, hier ist das Kopieren ein Teil der Kultur und in keiner Weise anstößig. Dort würde es tatsächlich passieren, dass die eigene Idee sofort von jemandem anderen aufgegriffen und in kürzester Zeit umgesetzt wird, wenn auch nicht in der geplanten Qualität.
MONITORING
Wie schon eingehend diskutiert, ist es besonders wichtig, dass alle Mitarbeiter von Beginn an auf die gemeinsame Sache eingeschworen sind. Eine ganz wesentliche Hilfe dabei ist, das aktuelle Geschehen im Unternehmen immer für alle transparent zu machen. Jeder, der schon einmal in einer größeren Organisation gearbeitet hat, weiß, wie demotivierend es ist, wenn man das Gefühl hat, dass alle Entscheidungen hinter dem Rücken der Mitarbeiter getroffen werden, dass man im Vorfeld nicht informiert wird, nicht eingebunden wird, keine Stellungnahme abgeben kann. Man ist also scheinbar nicht wichtig. Irgendwann pfeift man auf die Führungsebene, das Engagement wird auf ein Mindestmaß zurückgefahren, es tritt ein Zustand der inneren Kündigung ein. Morgens wird lange im Büro gefrühstückt und online Zeitung gelesen, gefolgt von einer ausgedehnten Mittagspause, nachmittags surft man in eigener Sache – Urlaubsbuchung, neues Auto – im Internet und um Punkt 5 Uhr nachmittags geht man nach Hause.
Dieser Informationsfluss ist also ein wesentlicher Faktor für Motivation, Commitment und zielgerichtete Leistung, letztlich auch für das Wohlbefinden des ganzen Teams. Wie kann es gelingen, seine Leute immer am letzten Stand zu halten? Wir hatten ein so genanntes Cockpit entwickelt, das den aktuellen Status aufzeigte: Wie viele neue User pro Sekunde, die aktuellen Umsätze, wo sind wir in welchen Publikationen – diese aktuellen Infos wurden immer groß im Büro an die Wand projiziert. Technisch war es eine kleine Website, auf der alle Daten zusammengeführt wurden. Jeder Mitarbeiter konnte diese Website auch zuhause aufrufen. Dieses Cockpit war extrem wichtig für die Motivation im Team. Wenn beispielsweise das Marketingteam eine Pressemeldung verschickt hatte und dann eine Meldung im Fernsehen kam, saßen alle geschlossen vor dem Cockpit und sahen sich das an, freuen sich über den Erfolg und beobachten dann die gewaltig steigenden Zugriffe. Hier entsteht ein Gefühl, wie beim gemeinsamen Ziehen an einem Seil, alle Kraft geht in eine gemeinsame Richtung.

EXIT
Jeder Startup-Unternehmer muss sich die Frage stellen, ob er irgendwann verkauft und sich völlig zurückzieht, oder ob er in seiner Funktion weiter tätig sein will. Grundsätzlich sind die Geschäftsführer über die VC-Verträge an die Firma gebunden, da sie sonst unverkäuflich ist. Im Führungsteam stecken ja die meiste Kompetenz und das meiste Know-how. Die Unternehmer müssen also per Vertrag leben und sterben für ihre Firma. Ein Ausstieg ist nur dann möglich, wenn das Unternehmen so aufgebaut wurde, dass man selbst irgendwann überflüssig wird: Hohe Motivation auf allen Ebenen, Eigenverantwortung der Bereichsleiter, Weitergabe allen relevanten Wissens.
Das muss man aber auch wollen. Viele Geschäftsführer empfinden ein Gefühl der Macht, wenn sie alleinige Inhaber bestimmten Wissens sind, nur sie die wichtigen Stakeholder-Kontakte pflegen. Sie fühlen sich unverzichtbar, wollen bei jeder Entscheidung mitreden. Tatsächlich läuft bei ihnen dann auch alles zusammen, sie werden überhäuft mit Berichten, Telefonaten und E-Mails. Ohne mich geht hier gar nichts! Dieser Zustand bleibt dann auch erhalten. Oft ein Unternehmerleben lang.
Deshalb sollte man sich möglichst zu Beginn die Frage stellen, welcher Typ man ist. Ist man der Entrepreneur, dem es Spaß macht, eine Idee aus der Taufe zu heben, sie zu gestalten, ein Unternehmen daraus zu formen und es auf 150 Mitarbeiter hochzufahren? Für mich ist das die spannendste Aufgabe. Ab dieser Größe, in der Phase des weiteren Ausbaus von 150 auf 200 Leute ändert sich das Aufgabengebiet völlig. Es ist wie einen großen Tanker zu steuern, der nur mehr träge seinen Kurs ändert. Für den Unternehmertyp Tankerkapitän wahrscheinlich ein schönes Gefühl, jahrein jahraus hoch oben auf der Brücke seines Ozeanriesen zu stehen.
So muss jeder für sich entscheiden, welche Funktion für ihn am besten geeignet ist.
KAWASAKI, MORITZ, ELLISON
Guy Kawasaki,1954 in Hawaii geboren wuchs in einem rauen Viertel namens Kalihi Valley auf. Er schaffte es bis zur Eliteuni, schloss 1976 in Stanford sein Psychologiestudium ab und hängte noch ein Jusstudium dran. Über seinen Stanford-Kollegen Mike Boich, ebenso berühmter Apple-Evangelist kam auch Guy zu Apple. Als Marketingverantwortlicher des Macintosh trug er in den Jahren 1984 bis 1988 wesentlich zum Aufstieg Apples bei. Wir verdanken ihm als Mitglied unseres Advisory Boards einen Teil unseres Erfolges mit Jajah.
In jüngeren Vorträgen referiert Guy Kawasaki folgende 11 Thesen, die einerseits für Betriebsgründer, aber auch für erfahrene Manager einiges an Tipps bereithalten:
- Make Meaning: Geld zu verdienen sollte nicht die vorrangige Priorität darstellen. Man sollte sich lieber darauf konzentrieren, etwas mit Bedeutung zu kreieren.
- Make Mantra: Statt einem ellenlangen, generischen Unternehmensleitbild lieber ein kurzes aber prägnantes Mantra formulieren, das die Grundwerte des Unternehmens in maximal drei Worten beschreibt.
- Jump to the next curve: Weit über den eigenen Tellerrand hinausschauen und über den eigenen Schatten springen zu können sind für einen langfristigen Erfolg von großer Bedeutung.
- Roll the DICE
Deep: Ein Produkt benötigt Tiefe; Features, die über das Gewohnte hinausgehen.
Intelligent: Konsumenten sollen merken, dass man sich wirklich Gedanken gemacht hat.
Complete: Großartige Produkte fühlen sich schlichtweg komplett an.
Elegant: Das Design ist für den Erfolg kein unerheblicher Faktor. - Don’t worry, be crappy: Wenn man immer nur wartet, bis etwas perfekt ist, kann man gute Gelegenheiten verpassen.
- Let a hundred flowers blossom: Egal wie gut man Marktforschung betrieben hat, es kann immer sein, dass das Produkt hauptsächlich außerhalb der geplanten Zielgruppe gut ankommt. Es gilt, sich diese Situation zunutze zu machen und nicht dagegen anzukämpfen.
- Polarise people: Man kann es niemals allen recht machen. Lieber eine kleine, treue Fangemeinde bedienen, als der Menge etwas Mittelmäßiges anzubieten.
- Churn, baby, churn: Man sollte immer den Willen sich und das Produkt zu verbessern mitbringen. Unbedingt auf Ideen und Anregungen der Konsumenten hören.
- Niche Thyself: Je einzigartiger das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung und größer der Mehrwert für den Kunden, umso höher die Erfolgschancen.
- Follow the 10 20 30 rule: Unbedingt lernen zu präsentieren! Die 10-20-30-Regel bedeutet: 10 Slides, 20 Minuten, 30 Punkt Schriftgröße.
- Don’t let the bozos grind you down: Nur nicht von den Pessimisten und Flachköpfen runterziehen lassen.
Mike Moritz ist der so genannte crown prince von Sequoia, er entdeckte Google, Yahoo und Youtube und brachte sie ganz nach oben. Er ist ein genialer Kopf, war ursprünglich Historiker und Time-Journalist, später Quereinsteiger ins Venture Capital Business und wurde zu einem der 50 einflussreichsten Amerikaner gewählt. Er ist eine skurrile Erscheinung. Zu uns ins Büro kam er mit einer violetten Hose, das Hemd nur vorne reingesteckt, hinten hatte er es vergessen, das Haar zerzaust und die Brille schräg über das Gesicht aufgesetzt. Das ist ihm egal. Sogar für die USA, wo alles etwas mehr casual ist, ist er eine ungewöhnliche Erscheinung – Genie und Wahnsinn liegen hier knapp beieinander. Auch für einen Venture Capitalist ist er sehr exzentrisch. Üblicherweise steigen die VCs ins Unternehmen mit dem Ziel ein, möglichst schnell und mit möglicht hohem Gewinn wieder zu verkaufen. Ganz anders Mike Moritz. Ihm wäre es am liebsten, überhaupt nicht zu verkaufen. Er bevorzugt echte long-term-Investments, die irgendwann erfolgreich an die Börse gehen, den Aufbau starker, großer Unternehmen. Er steht auch auf einem längeren Weg immer hinter dem Unternehmen. Möglicherweise hat genau diese Eigenschaft ihn und seine Firmen so erfolgreich gemacht. Google hätte zehnmal verkauft werden sollen, widersetzte sich mit Hilfe von Mike Moritz erfolgreich und wurde zu dem, was es heute ist.
Larry Ellison, der Gründer und CEO von Oracle ist einer der erfolgreichsten Internetunternehmer aller Zeiten, derzeit auf Platz 6 der reichsten Männer der Welt, 2000 war er vor Bill Gates auf Platz 1. Er ist immer gut drauf – aber ein ganz ungewöhnlicher Typ, immer völlig auf irgendeine Sache fokussiert. Wenn er durch ein Einkaufszentrum geht, müssen alle anderen ausweichen, weil er die Leute gar nicht wahrnimmt. Andererseits hat er ein sehr einnehmendes Auftreten, ist ein notorischer Playboy, fanatischer Segler und fliegt privat einen Kampfjet, wenn er sich nicht gerade auf einer der größten Privatjachten der Welt aufhält. Bei seiner letzten Hochzeit wünschte er sich Steven Jobs als Fotograf – und der sagte sogar zu. Mit seinem ungewöhnlichen Wesen wird er mittlerweile auch auf der Stanford University als Studienobjekt eingesetzt. Jedenfalls ist er auf seine Weise höchst erfolgreich, auch wenn er für viele mit seiner exzentrischen Art kein Vorbild ist und sich viele auch nicht vorstellen können, mit ihm zusammen zu arbeiten. Es ist auch immer eine Frage des Typs von Unternehmer, der man selber sein will und den man sich als Kooperationspartner sucht.
Charge-backs
Zuerst freuten wir uns über die tollen Umsätze. Dann erst merkten wir, dass viele dieser Umsätze faul sind.
Jeder weiß, dass im Internet Kreditkarten verwendet werden. Jeder weiß auch, dass das ein oder andere Mal Kreditkarten gestohlen werden und dann die Nummern im Internet zu betrügerischen Zwecken eingesetzt werden. Aber kaum jemand weiß, dass der Schaden, der durch Kartenbetrug im Internet entsteht, 200 Milliarden Dollar beträgt. So viel, wie der gesamte Stromverbrauch der USA. Es ist also allein der Zahlungsverkehr im Internet ein gigantisches globales Problem.
Grundsätzlich gibt es bei Kreditkartentransaktionen zwei unterschiedliche Arten. Die erste nennt sich card present, man geht in das Geschäft und zieht die Karte durch. Das die unproblematische Variante, die Karte ist vor Ort. Man hat bspw. einen Pizzaladen, stellt dort dein Kreditkartenterminal auf und die Gäste können bequem zahlen. Wenn einer mit gestohlener Karte zahlt, was sehr selten ist, bekommt man sein Geld von Visa oder Mastercard zurück.
Anders sieht es online aus: card not present. Wir hatten bei Jajah wie alle andere andere großen Internet-Anbieter keine Kreditkarte unserer Kunden jemals wirklich gesehen oder in der Hand gehabt. Wir wussten nicht, ob der Kunde tatsächlich berechtigter Inhaber der Kartendaten ist. Das Betrugsrisiko lag bei uns: Wenn einer mit gestohlener Karte bezahlt hatte, mussten wir das Geld wieder an die Kreditkartenfirma zurückzahlen. Nicht genug damit, wir und alle anderen mussten eine Art Strafe, die so genannte charge back fee in der Höhe von 37 Dollar für diese zusätzliche Transaktion bezahlen, die natrülich auch für Mastercard oder Visa mit einem Aufwand verbunden war. Damit noch nicht genug der Unannehmlichkeiten: Übersteigt die Anzahl der Chargebacks eine bestimmte Höhe, wird eine zusätzliche Strafe eingehoben – bis hin zum völligen Ausschluss von dieser Art von Kreditkartentransaktionen, für manche Internetfirmen bedeutet das den Ruin – denn die Betrüger sind äußerst erfolgreich.
Es gibt kriminelle Organisationen, die technologisch extrem sophisticated und spezialisiert sind. Auf verschiedensten illegalen Wegen ist es ihnen gelungen, in den Besitz von zehntausenden Kreditkarteninformationen zu kommen. Sie haben alles von ihren Opfern: Die Kreditkartennummer, den CVV Code von der Kartenrückseite, die Rechnungsadresse – alles, um damit groß einkaufen und zahlen zu können. Und sie sind vor allem ständig auf der Suche nach neuen Wegen, über diese Kreditkarteninformationen auch an Bargeld zu kommen. Dafür suchen sie sich am liebsten virtuelle Commodities aus. Das sind Dinge die jeder braucht wie zum Beispiel Airlines, Hotels – oder die Telefonie. Sie laden z.B. hundert Dollar auf einen Jajah-Account. Dann verkaufen sie auf der Straße den Login für 10 Dollar – das ist für jeden ein profitables Geschäft: Der eine verdient 10 Dollar pro Login, der andere kriegt für 10 Dollar hundert Dollar Telefonie. Das ist auch der Grund, wieso mit diesen Karten billiger als direkt über Jajah telefoniert werden kann.
Mit herkömmlichen Mitteln kann man diesen Betrug nicht abwehren. Üblicherweise investiert man 15% seines Umsatzes in Teams, die jede einzelne Bestellung checken, das Kundenverhalten analysieren und dabei typische kriminelle Muster aufdecken. 15% des Umsatzes sind verdammt viel Geld. Und trotzdem hat man noch hohe chargeback rates. Yahoo hatte vor der Jajah-Übernahme 8%, Microsoft satte 12%. Unterm Strich haben diese Milliardenkonzerne damit ein Drittel des Umsatzes verloren. Bis sie mit uns in Kontakt kamen.
Die Jajah Chargebackraten lagen bei sensationellen 0,2%. Durch eine Beteiligung mit uns wurde für viele, wie auch für Yahoo und Microsoft, das Geschäft plötzlich wieder profitabel. Unser Trick war simpel, aber extrem wirkungsvoll: Wir wussten, dass diese kriminellen Organisationen zehntausende verschiedene Kreditkarteninformationen haben. Was sie nicht hatten, waren die dazugehörigen Telefonnummern. Die braucht man aber zum Telefonieren. Diesen Trumpf spielten uns diese Gangster aber bei jedem Telefonat in die Tasche.
Also verbanden wir die Kreditkarteninformation mit der Telefonnummer. Pro Telefonnummer waren 3 Kreditkarten erlaubt. Für die Entwicklung und Programmierung dieser Funktion hatten wir ein hochqualifiziertes israelisches Team engagiert. Sie entwickelten ein System, das auf künstlicher Intelligenz basiert. Dieses System durchsuchte unseren Datenbestand und analysierte gezielt das Verhalten der Betrüger. Wurden auffällige neue Geschäftsfälle entdeckt, konnten wir diese im ersten Schritt blockieren und nicht sofort an Visa oder Mastercard weiterleiten. Im zweiten Schritt begutachteten wir den Fall persönlich. War es ein Betrüger, wurde er einfach ausgeschaltet. Mit der Verknüpfung dieser beiden Methoden erreichten wir die extrem niedrige Quote von nur 0,2% – 60mal niedriger als die 12% von Microsoft Messenger. Damit hatten wir die zu diesem Zeitpunkt höchste Kompetenz im Paymentbereich aufgebaut. Und wir kannten die Betrüger.
Mit unseren detektierten Informationen stießen wir auf eine international äußerst erfolgreiche Bande von 30 Betrügern, die von Pakistan aus agierte. Außerordentlich professionelle Leute, die permanent ihre Identität wechselten. Wir leiteten unser Beweismaterial an alle zuständigen Behörden weiter. Dann leiteten wir es an die Kreditkartenfirmen weiter. Doch es passierte absolut nichts. Da wir und alle anderen Anbieter das Risiko trugen, was es allen egal.
Ohne unser Wissen versuchte unser engagiertes israelisches Team, auf eigene Faust vorzugehen. Sie flogen nach Pakistan, um die Betrüger aufzuspüren und auf frischer Tat zu ertappen. Doch diese hatten bereits Wind von der Sache bekommen, waren spurlos verschwunden und betrieben ihr Geschäft von einer anderen Basis weiter.
Dieser Fall zeigt, dass herkömmliche Methoden der Strafverfolgung im Internet weitgehend unbrauchbar sind. Es gilt vielmehr, den Betrug mit allen Mitteln schon im Vorfeld zu verhindern. Diese Kompetenz im Paymentbereich erwies sich als Schlüssel in eine neue unternehmerische Zukunft: Jumio.